Der Begriff der Toxizität wurde und wird in der TCM anders eingesetzt, als dies nun in Europa üblich ist. Aus diesem Grund ist es vorteilhaft den Begriff Toxizität mit einem anderen Begriff, nämlich Arzneimittelstärke auszutauschen. Lesen Sie hier einen Beitrag von Dr. Florian Ploberger.
Natürlich ist es so, dass jedes Arzneimittel, und damit jedes Arzneimittel der TCM, das eine Wirkung aufweist, auch unerwünschte Nebenwirkungen aufweisen kann. Eine Stärke der chinesischen Medizin liegt darin, diese unerwünschten Nebenwirkungen zu neutralisieren, indem Kräuter mit verschiedenen Geschmäckern und verschiedenen thermischen Wirkungen innerhalb einer Rezeptur kombiniert werden.
Die medizinischen Substanzen der TCM sind im Allgemeinen sicher und leicht anzuwenden. Entsprechend einer klassischen Definition, die besagt, dass eine milde Medizin besser ist als eine stark wirksame; und dass hochwirksame Arznei nur bei kritischen und hochakuten Syndromen eingesetzt werden sollten, wurden alle mehr oder minder hochwirksamen Arzneien als “leicht giftig”, “giftig” oder auch “stark giftig” bezeichnet. Aus diesem Grund befinden sich in fast allen gebräuchlichen Lehrbüchern, die sich mit dem Thema „chinesische Phytotherapie“ auseinandersetzen, Angaben über die „Toxizität“ der jeweiligen Arzneien.
Giftig bedeutet in diesem Zusammenhang nicht “toxisch” wie in der westlichen Medizin, aber deckt sich natürlich im Falle einer als “stark giftig” bezeichneten Arznei wie z.B. Rx. Lateralis Aconiti Carmichaeli Praeparata (Fuzi) auch mit dem “toxischen” Begriff der westlichen Medizin. Da sowohl in China wie auch im Westen der Begriff “giftig” sehr dehnbar ist, muss bei jenen Arzneimitteln, die nicht als “ungiftig” angeführt werden, nicht nur die Dosis, sondern auch die Konstitution, das Alter und Körpergewicht des Patienten sowie die Stärke der Erkrankung in Betracht gezogen werden.
Es empfiehlt sich, als “giftig” oder “stark giftig” deklarierte Arzneien nach deutlicher Besserung der Symptome abzusetzen, um eine größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten.
Die „Toxizität“ chinesischer Phytotherapeutika kann durch mehrere Methoden vermindert werden:
- Verarbeitung der Arznei.
- Abkochen bzw. dekoktieren der Rohdroge. (Beispielsweise ist gekochter und als Arznei zubereitete Rx. Lateralis Aconiti Carmichaeli Praeparata (Fuzi) um das fünf- bis zehntausendfache weniger giftig als die Droge in frischem Zustand).
- Kombination mit anderen Kräutern.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aus oben angeführten Gründen der Begriff der Giftigkeit weit unter dem des Westens liegt und in therapeutischen Dosen Vergiftungen sehr selten auftreten.
Verbotene Kombinationen, Kontraindikationen und diätetische Unverträglichkeiten
Zusätzlich zum dem Thema der Toxizität befassen sich klassische TCM-Texte mit Folgendem:
- verbotene Kombinationen
- Kontraindikationen während einer Schwangerschaft (siehe eigener Blog)
- diätetische Unverträglichkeiten
zu 1. Verbotene Kombinationen
Es gibt Kombinationen von Kräutern, vor deren Anwendung traditionell gewarnt wird, da es durch die Einnahme der Kombinationen dazu kommen kann, dass deren Wirkung herabsetzt wird oder es zu unerwünschten Nebenwirkungen oder Vergiftungen kommen kann. Diese Überlieferung geht auf das Werk „Der göttliche Hausmannsklassiker der Arzneimittellehre“ (Divine Husbandman’s Classic of the Materia Medica) zurück. Im zehnten Jahrhundert schrieb Han Bao-Sheng in seiner Arzneimittellehre von Sichuan („Materia Medica of Sichuan“, chinesischer Titel: „Shu Ben Cao“), dass es in der klassischen Arzneimittellehre achtzehn Fälle gegenseitiger Unverträglichkeit gibt. Die Meinung darüber, welche Substanzen nicht miteinander zu kombinieren sind, änderte sich im Laufe der Zeit. Zwei Klassen verbotener Kombinationen blieben jedoch seit der Yuan-Dynastie (1279-1368 n. Chr.) anerkannt und werden im folgenden Abschnitt angeführt. (Diese Überlieferungen wurden in Form von Liedern verbreitet.)
Die erste dieser Kategorien sind die „neunzehn Feindseligkeiten“ (shi jiu fan):
- Sulphur (Liuhuang) steht im Widerstreit zu Sal Glauberis (Poxiao).
- Hydrargyrum (Shuiyin) steht im Widerstreit zu Arsenicum (Pishuang).
- Rx. Euphorbiae Fischerianae (Langdu) steht im Widerstreit zu Lithargyrum (Mituoseng).
- Sm. Croton Tiglii (Badou) steht im Widerstreit zu Sm. Pharbitidis (Qianniuzi).
- Nitrum (Yaxiao) steht im Widerstreit zu Rz. Sparganii (Sanleng).
- Fl. Caryophylii (Dingxiang) steht im Widerstreit zu Tuber Curcumae (Yujin).
- Rx. Aconiti (Wutou) steht im Widerstreit zu Cornu Rhinoceri (Xijiao).
- Rx. Ginseng (Renshen) steht im Widerstreit zu Excrementum Trogopterori seu Pteromi (Wulingzhi).
- Cx. Cinnamomi Cassiae (Rougui) steht im Widerstreit mit Halloysitum Rubrum (Shishishi).
Die zweite Kategorie sind die „achtzehn Unverträglichkeiten“ (shi ba fan). Sie umfasst drei Gruppen von insgesamt achtzehn nicht zusammenpassenden Substanzen:
Rx. Glycyrrhizae Uralensis (Gancao) ist nicht kompatibel mit:
- Rx. Euphorbiae Kansui (Gansui)
- Rx. Euphorbiae seu Knoxiae (Daji)
- Fl. Daphnes Genkwa (Yuanhua)
- Hb. Sargassii (Haizao)
Rx. Aconiti (Wutou) ist nicht kompatibel mit:
- Bulbus Fritillariae (Beimu)
- Fr. Trichosanthis (Gualou)
- Rz. Pinelliae Ternatae (Banxia)
- Rx. Ampelopsis (Bailian)
- Rz. Bletillae Striatae (Baiji)
Rz. et Rx. Veratri (Lilu) ist nicht kompatibel mit:
- Rx. Ginseng (Renshen)
- Rx. Adenophorae seu Glehniae (Sharen)
- Rx. Salviae Miltiorrhizae (Danshen)
- Rx. Sophorae Flavescentis (Kushen)
- Hb. cum Rx. Asari (Xixin)
- Rx. Paeoniae Lactiflorae (Baishao)
Anmerkung:
Die Empfehlungen, die angeführten Kräuter nicht miteinander zu kombinieren, beruhen nicht auf moderner wissenschaftlicher Analyse, sondern auf einer im Laufe der Jahrhunderte gewonnenen Erfahrung. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, die Kräuter bei dem Erstellen einer TCM-Rezeptur wie angegeben nicht zu kombinieren. Dies sollte schon aus Respekt und Demut gegenüber dem Wissen früherer TCM-Ärzte geschehen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass einige der angeführten Kräuter aus Gründen des Artenschutzes, der Toxizität, etc. im deutschsprachigen Raum nicht erhältlich sind.
Diätetische Unverträglichkeiten von TCM-Kräutern
Es gibt es mehrere Arten diätetischer Unverträglichkeiten.
Erstere betrifft jene Nahrungsmittel, die laut traditioneller Überlieferung besonders von Patienten, die bestimmte medizinische Substanzen einnehmen, vermieden werden sollen.
Beispielsweise sollten während einer Einnahme von Rx. Rehmanniae Glutinosae (Shengdihuang), Rx. Rehmanniae Glutinosae Conquitae (Shudihuang) und Rx. Polygoni Multiflori (Heshouwu) Zwiebeln, Knoblauch und Rettich gemieden werden. Wer Sclerotium Poriae Cocos (Fuling) einnimmt, sollte keinen Essig zu sich nehmen. Bei Gabe von Rx. Dichroae Febrifugae (Changshan) ist der Genuss von Zwiebeln abträglich. Ähnlich wie bei den verbotenen Kombinationen gibt es auch hier unterschiedliche Meinungen, wie streng solche Verbote einzuhalten sind.
Andere Verbote sind allgemeiner Natur:
- Ein Patient, der mit Kräutern behandelt wird, sollte generell rohe, thermisch kalte, ölige oder sonstige schwer verdauliche Nahrung vermeiden. Diese Substanzen können das Verdauungssystem stören und die Wirksamkeit der Kräuter beeinträchtigen.
- Fiebernden Patienten wird in China traditionell empfohlen, den Genuss besonders fetter Speisen aller Art zu vermeiden.
- Menschen, die unter Hitzesymptomen leiden, sollten thermisch warme bzw. heiße Nahrungsmittel nicht im Übermaß zu sich nehmen. Dazu zählen neben den meisten alkoholischen Getränken Gewürze wie Pfeffer, Chili, Curry, Knoblauch, Zwiebel, Ingwer, etc. Viele Fleischsorten (beispielsweise Lammfleisch und Wild) sind ebenfalls thermisch warm.
- Anders verhält es sich bei Patienten, die unter Kältesymptomen leiden. Diese sollten thermisch kühle und kalte Nahrungsmittel nicht im Übermaß zu sich nehmen. Dazu zählen Rohkost im Allgemeinen, speziell natürlich rohe Salate und Südfrüchte, Yoghurt, Grüner Tee, eisgekühlte Getränke, etc.
- Wer unter toxischer Hitze leidet, sollte auf die Einnahme von Schalen- und Krustentieren, Rotwein und geschwefelten Nahrungsmittel sowie auf Geflügel verzichten.
Literaturempfehlung für chinesische Phytotherapie:
Ploberger, F. (2015) Chinesische Phytotherapie. Anleitung zur Erstellung einer TCM-Rezeptur, Schiedlberg, Bacopa.
>> hier gelangen Sie zum Buch von Dr. Ploberger, Chinesische Phytotherapie
Dr. med. Florian Ploberger, B.Ac., MA, TCM-Arzt, Tibetologe, Fachbuchautor. Internationale universitäre und interdisziplinäre Lehrtätigkeit und zahlreiche Publikationen in den Themenbereichen Tibetische Medizin und TCM. Präsident der Österreichischen Ausbildungsgesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (ÖAGTCM).
Mehrere Bücher veröffentlicht. (Schwerpunkte: Westliche Kräuter aus Sicht der TCM sowie Tibetische Medizin). Von der Direktion des Men-Tsee-Khang (Institut für Tibetische Medizin und Astrologie in Dharamsala, Nordindien) mit der Übersetzung der ersten beiden und des letzten Teils des bedeutendsten Werkes der Tibetischen Medizin (rgyud bzhi) beauftragt. Weitere Informationen finden Sie unter www.florianploberger.com