.. im Rahmen der Chinesischen Medizin
Beitrag von Prof. Dr. Gunter Neeb über die Behandlung von Corona-Patienten mit TCM
Da nun seit Beginn der Pandemie fast 10 Monate vergangen sind, haben sich in meiner Praxis ebenfalls viele Patienten, die vor und nach der Coronavirus-Infektion diagnostiziert und therapiert wurden, eingefunden (alle PCR+, leider ohne Angabe der Ct-Zyklen).
Da auch schon Studien zu Langzeitfolgen bestehen, die sich nach Negativ-Testungen ergaben *(https://en.wikipedia.org/wiki/Long_Covid), war es auch interessant nachzuverfolgen, ob dieser Verlauf auch nach der Behandlung mit Chinesischer Medizin stattfindet. Zunächst war hier auffallend, daß die mit Chinesischer Medizin behandelten Patienten die Symptome und den Verlauf im Vergleich zu eigenen Familienmitgliedern (Partner, Geschwister) weitaus besser überstanden, als die nicht in dieser Zeit TCA Einnehmenden.
Diagnosen
Herz und Kreislauf
Da kein Patient während, sondern alle vor und nach der Symptomatik zur Diagnose kamen, waren vor allem diese Veränderungen relevant. Auffällig war zum Beispiel bei einem jungen, sportlichen Patienten, der vor der Infektion nie auffällige Pulsdiagnosewerte hatte (vorher 15 Pulstastungen), daß er drei Wochen nach dem Verschwinden der Symptome (Fieber, Kopfschmerzen, Erkältungssymptome für eine Woche) eine Veränderung des Pulsbildes hatte.
Er selbst gab an, keinerlei Symptome hinsichtlich seines Herzens gehabt zu haben, sein Puls hatte sich aber in Richtung eines nicht verlangsamten Jie-Mai (knotiger Puls) verändert, d.h. in unregelmäßigen Abständen 8 ca. alle 3-6 Pulsschläge) kam es zu einer Verzögerung im Millisekundenbereich (keine respiratorische Arrythmie), die in diesem Patienten deutlicher hervortrat, als in anderen.
Dies deckt sich mit Erkenntnissen der Studie aus Frankfurt, bei welcher 78 von Hundert der COVID-Genesenen unter Herzbeteiligung und 60% der Untersuchten unter einer Myocarditis gelitten hatten. (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7385689/)
Da der Jie-Mai als langsamer Puls definiert ist, kann man hier entweder einen anderen Namen vorschlagen, oder wenn man es als Jie-Mai bezeichnet die Verlangsamung im Vergleich zur eigenen Normfrequenz während einer Minute setzen, was aber nur schwer zu verifizieren ist, da die Frequenz sich von vielen Faktoren beeinflussen läßt (Stress, Coffein, Schlafmangel etc.). Außer dem manchmal noch etwas oberflächlichen Lungen-Puls (Fu-Mai) waren die Zungenveränderungen dagegen unauffällig bzw. entsprachen solchen von anderen Atemwegsinfektionen.
Danach begann ich gezielt alle Corona-Genesenen auf Herzsymptomatik zu untersuchen und mußte feststellen, daß es doch häufig außer Müdigkeit auch vermehrtes Nachlassen der Leistung beim Sport oder Alltag zu erkennen gab. Ein weiterer Patient zum Beispiel verspürte beim Laufen etwas weniger „Puste“ als zuvor. Viele Patienten hielten das für eine Folge der mangelnden Bewegung durch die Quarantäne und den Homeoffice.
Bei arrhythmischer Herzbeteiligung habe ich etwas Nü Zhen Zi plus Han Lian Cao plus Ku Shen in die Rezeptur hinzu gegeben, was sich hier bewährt hat. Außerdem ergänze ich auch die individuellen Arzneizusammenstellungen für meine Patienten in der COVID-Infektsaison durch eine Abwandlung der Yang Xin Tang*https://www.americandragon.com/Herb%20Formulas%20copy/YangXinTang.html in welcher vor allem Mai Men Dong und Dang Shen eine herzschützende Wirkung haben oder die Qi Shen Yi Qi* https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3725842/
Kombination, die vor allem Dan Shen und San Qi mit Jiang Xiang und Huang Qi enthält und sich bei cardiovaskulären Erkrankungen bewährt hat. Diese werden – wie normal üblich und korrekt in der chinesischen Medizin – nicht als ganze Formel zu einem Wust von Arzneien aufgetürmt, sondern individuell dem Patienten angepaßt.
Beispiel:
Ist der Patient älter oder hat schon Blutstasezeichen, dann kommen anstatt Dan Shen aus der Qi Shen Yi Qi Tang oder aus aus der Yang Xin Tang Arzneien wie Sheng Di Huang und Dang Gui in Frage, bei Schlafstörungen Bo Zi Ren und Suan Zao Ren oder Mai Men Dong aus dieser Formel; bei Thrombosegefahr San Qi aus der Qi Shen Yi Qi-Formel, und bei Lungenbeteiligung Wu Wei Zi und Ren Shen.
So kann man die individuellen Formeln in dieser Jahreszeit durch das Verständnis der Wirkung einzelner Arzneien sinnvoll ergänzen.
Der Kreislauf war bei der Mehrheit der Patienten auch nach dem Infekt beeinträchtigt, da sie über einen Blutdruckabfall, teils nur diastolisch klagten, der zu verstärkter Müdigkeit führte.
Gehirn und Psyche
Etwa 20% meiner Covid-Patienten hatten während des Infektes Anosmie oder Ageusie, die zwischen 5 und 30 Tagen anhielt und somit auf eine neurologische Verbreitung via Riechzellen hinwiesen. Diese bringen oft auch psychologische oder neurologische Symptome mit sich.* (https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/wie_sars_cov_2_in_das_gehirn_gelangt/ und https://www.nature.com/articles/s41593-020-00758-5)
Da manche Studien von 70% dieses Phänomens bei dem Virusbefall sprechen, und ich dies nicht einmal bei einem Drittel meiner Covid-Patienten feststellen konnte, scheint die Therapie mit Chinesischen Arzneien (meist wegen ganz anderer Erkrankungen behandelt) auch hier als „Nebenwirkung“ einen schlimmeren, teils prolongierten Verlauf zu verhindern.*https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117816/Long-COVID-Hinterlaesst-die-Erkrankung-langfristige-kognitive-Stoerungen
Einer der Anosmie-Patienten beschrieb diesen Zustand als komplett anders, als zum Vergleich durch eine verstopfte Nase verursachte Geschmacks- oder Geruchsminderung. Die längste anhaltende Anosmie trat aber bei einer Patientin in der Menopause auf, die auch als einzige einen „Long-Covid“ Verlauf hatte, der ihre vormals vorhandene Angststörung wieder auslöste.* Kelland, Kate (9 November 2020). „One in five COVID-19 patients develop mental illness within 90 days – study“. Reuters. Und https://www.deutschesgesundheitsportal.de/2020/11/30/corona-durchfall-ernstnehmen/?utm_source=DGP_Fachletter_Presse-A-CH&utm_medium=E-Mail&utm_campaign=DGP_Fachletter_Presse-A-CH%20(letzter%20Zugriff%20am%2002.12.2020).
Auch ein asymptomatischer, wegen Depressionen zu uns gekommener Patient, dem es vor seiner Positivtestung und Quarantäne wieder sehr gut ging, klagte nach den zwei Wochen Sportverbot in frischer Luft über ein Wiederauftreten seiner Depressionen.
Das mag nicht zwangsläufig am Infekt gelegen haben, kommt aber als Qi-Stagnation, z.T. bis zur Blutstase gesteigert auch häufig vor, so daß man überlegen sollte Hong Jing Tian, Zang Hong Hua und Hou Tou Gu, den neurologisch Wirksamen Hericiumpilz zu verschreiben.
Verdauungstrakt
Erwachsene waren leichte Stuhlgangsveränderungen wie Durchfälle nicht immer dem Infekt zuzuordnen, dagegen klagten Kinder häufig Durchfall, kombiniert mit Übelkeit oder Erbrechen, was laut einer Metastudie für einen schweren Verlauf spricht, der aber bei meinen Patienten nicht eintrat. *( https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7682965/ undhttps://www.deutschesgesundheitsportal.de/2020/11/30/corona-durchfall-ernstnehmen/?utm_source=DGP_Fachletter_Presse-A-CH&utm_medium=E-Mail&utm_campaign=DGP_Fachletter_Presse-A-CH%20(letzter%20Zugriff%20am%2002.12.2020)
Erstaunlicherweise kam Fieber bei Kindern nie vor, während sich die Zahl der gemessenen Temperaturerhöhungen bei Erwachsenen zwar gering hielt, aber auch zwischen 38,1 und 39,5 Grad Celsius lag.
Ebenfalls ein Drittel der Patienten hatten gar keine Symptome, obwohl das Geschwisterkind oder der Ehepartner (alle PCR+ getestet) sehr wohl welche hatten.
Zwei Geschwisterkinder waren im PCR negativ, während alle anderen Familienmitglieder positiv waren.
Die o.g. Atemwegssymptome bestanden aus etwas Schnupfen, gelegentlichem Halskratzen, Kopf- und Gliederschmerzen und starke Müdigkeit.
Auch möglicherweise neuropsychologische Symptome traten geringfügig auf, wobei die Ursache nicht sicher auf CoViD zurückgeführt werden kann. Diese waren: drei Tage ungewöhnliche Schlafstörungen und erneutes Auftreten einer Angsterkrankung, sowie depressive Phasen.
Mehrere Antikörpertestungen aus China (März) und Deutschland (November) die wir selbst an unseren Patienten im Nachhinein getestet haben, zeigten weder IgG noch IgM positiv an, obwohl Symptome und PCR eindeutig belegten, daß eine abgelaufene Infektion vorlag.
Therapie:
Auffällig war, daß alle die Patienten mit hohen Anteilen an immunstärkenden oder -modulierenden Arzneien (also Milz-Qi stärkende wie z.B. Huang Qi oder Ren Shen), keine oder kaum Symptome der Infektion hatten. Dies waren vor allem alle Krebspatienten und solche mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen. Bei den Patienten mit Atemwegs-Symptomen, aber ohne Anosmie oder Ageusie blieben zwei Wochen nach dem etwa einwöchentlichen Verlauf keinerlei Symptome wie Husten oder Atemnot übrig.
Ich werde auch oft nach der prophylaktischen Hinzufügung von Chuan Xin Lian, dem aktuellen Renner zur CoViD-Prophylaxe in China gefragt, oder der 2003 nach der SARS-1 Epidemie sehr beliebten Kombination Lian Qiao und Jin Yin Hua. Dazu ist zu sagen, daß das natürlich für gewisse Zeit geht, solange der Patient nicht schon unter Milz-Qi-Leere oder Yang-Leere leidet, da der Schuss sonst nach hinten losgehen kann. Unbedingt müssen beim Hinzufügen kalter, bitterer Arzneien auch warme, Qi- oder Yang tonisierende ergänzt werden.
Zum Abschluss meiner bisher im zweistelligen Bereich liegenden Erfahrung * (Im nächsten Jahr folgt eine statistische Auswertung meiner Erfahrungen mit CoViD-Patienten an dieser Stelle.) mit Corona-Patienten kann ich nur die Erfahrungen unserer chinesischen Kollegen* (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32912400/ und https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32574235/) bestätigen: Wenn es um eine umfassende Behandlung für eine unbekannte oder neue Erkrankung geht, kommen die Symptomenmuster aus der chinesischen Erfahrungsmedizin als eine willkommene Ergänzung zur Biomedizin ins Spiel.
Das ist vielleicht einer der Gründe, warum es in China weniger Folgeerkrankungen („Long-Covid“) gibt, und man sie Seuche dort besser im Griff hat.
Hier finden Sie einen anderen Beitrag von Dr. Neeb zum Thema Covid 19/Corona mit dem Titel: Coronaviren mit Chinesischer Medizin behandeln.
Prof. Dr. med.sin. (China) Gunter Ralf Neeb, besitzt umfangreichen Kenntnisse der Mikrobiologie. Er studierte an der Hochschule für Chinesische Medizin der Provinz Yunnan und später an der Internationalen Hochschule für TCM Tianjin. 1998 schloss er das Studium als erster Nicht-Asiate mit einem Magistergrad in Chinesischer Innerer Medizin ab. 2001 beendete er seinen 12-jährigen Studienaufenthalt in China und kehrte als erster Nicht-Chinese mit einem Doktorgrad der Chinesischen Medizin nach Deutschland zurück. 1998 wurde er als Dozent in den Universitätslehrkörper aufgenommen. Heute ist er Doktor der chinesischen Medizin auf drei Kontinenten und als bekannter Lehrer und Dozent tätig.