Eine Nadel in Su Zan Li (Ma 36) änderte den Lauf der Medizingeschichte und das Leben all derer, die seit dem und bis heute mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und Akupunktur behandelt werden und behandeln, die sie lernen und lehren.
Der 17.7.71 vor 50 Jahren wurde zum Wendepunkt der Geschichte der Akupunktur im Westen
Jeder kennt den Satz aus der System- und Chaostheorie, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in China einen Sturm in Amerika auslösen kann. Genau das ist an jenem Tag im Jahre 1971 im „Antiimperialistischen Hospital“ in Bejing – heute das Peking Union Medical Hospital – passiert: Eine Nadel in Su Zan Li (Ma 36) änderte den Lauf der Medizingeschichte und das Leben all derer, die seit dem und bis heute mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und Akupunktur behandelt werden und behandeln, die sie lernen und lehren.
Präsident Nixon in China
Aber beginnen wir von vorn: Da war diese Anekdote, wie die Akupunktur in den Westen kam, mit Amerikas damaligem Außenminister Kissinger und Präsident Nixon, einem Journalisten und einer Appendizitis. Es kursieren etliche Versionen, hier aber kommt die wahre Geschichte. Recherchiert wurde sie in jahrelanger Kleinarbeit von einem amerikanischen Kollegen namens Dr. Yong Ming Li und sie wurde 2015 im Journal of Traditional Chinese Medicine veröffentlicht.
Der Journalist und Kolumnist James Reston (1909-1995) – Herausgeber der New York Times und zweimaliger Pulitzerpreisträger – hatte eine Einladung nach China erhalten. Er reiste mit seiner Frau Sally am 8. Juli über Hongkong nach China ein, aber dort verzögerte sich sein Weiterkommen und er traf erst am 12.Juli mit dem Zug und nicht wie ursprünglich geplant mit dem Flugzeug in Beijing ein. Er verpasste dabei Henry Kissinger, der auf seiner Vorbereitungsreise zum ersten Staatsbesuch eines amerikanischen Präsidenten in der VR China ebenfalls in Beijing gewesen war. Maßlos enttäuscht und verärgert, dass ihm hier eine große Story entgangen war, entwickelt Reston einen stechenden Schmerz in der linken Leiste. Weil dieser nicht verschwand, stellte er sich am nächsten Tag in der Klinik vor und wurde von einem Konzil aus 12 Experten auf eine akute Appendizitis diagnostiziert und sogleich auch operiert. Obwohl die Operation komplikationslos verlaufen war, bekam Reston in der Nacht des ersten postoperativen Tages Schmerzen und Blähungen.
Dr. Zhanyuan Li, der als TCM-Arzt in diesem Hospital arbeitete, wurde hinzugerufen und behandelte einen Punkt am Ellbogen und einen unterhalb des Knies. Er waren wohl Zu San Li (Ma 36) und wahrscheinlich Shou San li (Di 10). Ein heftiges De Qi-Gefühl lenkte Reston von seinen Bauschmerzen ab und eine Moxibustion von abdominellen Punkten brachte zunächst Linderung und sorgt nach 20 Minuten für das Verschwinden der Beschwerden.
Immer noch ärgerlich und wütend über die verpasste Chance einer Top-Schlagzeile zum bevorstehenden Nixon-Besuch in China, schrieb Reston einen Artikel über seine Erfahrungen mit einer Appendizitis in einem chinesischen Krankenhaus. Dieser Artikel erschien zusammen mit der Meldung des erfolgreichen Starts der Apollo 15 Mission auf der Titelseite der New York Times – der Rest ist Geschichte:
In den Vereinigten Staaten löste Restons Geschichte einen wahren Boom auf die wenigen Praktiker der TCM und der Akupunktur in den Chinatowns der Metropolen aus.
Akupunkteure mieteten sich etagenweise in Hotels ein und behandelten am Fließband. Laien lernten in Crash-Kursen von weniger als einem Monat Nadeln zu setzen, eine behördliche Qualitätsreglementierung gab es nicht. In Wildwestmanier wurde teilweise in einer Woche so viel Geld verdient, um ein Haus kaufen zu können. Dieser „Goldrausch“ der Akupunktur war natürlich von kurzer Dauer, aber er reichte aus, eine Dynamik in Gang zu setzen, die zurecht als der Beginn der Chinesischen Medizin in den USA und damit in der westlichen Welt zu sehen ist.
Sally Reston, die Frau des Journalisten schrieb 1972 das Vorwort zum ersten Lehrbuch der Akupunktur: „The Layman´s Guide to Acupuncture“ von Yoshio Manaka. Orginalexemplare dieses Paperbacks werden unter Sammlern im Internet für mehrere hundert Euro gehandelt.
Heute gibt es in den USA über 40000 Akupunkteure und Akupunkteurinnen, viele davon sind Ärzte. In 44 der 50 Staaten Amerikas gibt es eine eigenständige Gesetzgebung zur Ausübung der Akupunktur und sie wird an fast 1oo Schulen nach einem einheitlichen Prüfungssystem gelehrt.
Über ein Zehntel der staatlichen Förderung für alternative und komplementäre Medizin fließt in Forschung zur Akupunktur und schon im Jahre 2007 wurden ca. 17,5 Millionen Akupunkturbehandlungen an über 3 Millionen amerikanischen Patienten und Patientinnen durchgeführt. 86% der Behandelten gaben an, dass die Akupunkturbehandlung bei ihnen viel oder gar sehr viel erreicht hätte. Eine Metaanalyse von 29 Akupunkturstudien und über 18000 Patienten stellt heute klar heraus, dass bei Rücken- oder Nackenschmerz, bei Schmerzen in Schulter, bei arthritischem Schmerz oder Kopfschmerzen die Akupunktur einer konventionellen Behandlung deutlich überlegen ist.
Akupunktur ist heute nicht nur eine Behandlungsmethode die Patienten und Therapeuten verbindet, sondern die Traditionellen Chinesische Medizin mit all ihren über die Akupunktur herausgehenden Behandlungsmethoden und Verfahren, wie der Chinesischen Arzneimitteltherapie, einer Ernährungslehre, des Qi Gong und des Tuina, ist auch eine Verbindung der Kulturen des Ostens und des Westens.
Quelle: Li YM, Acupunkture journey tu America: A turning point in 1971, Journal of Traditional Chinese Medical Sciences (2015), http://dx.doi.org/10.1016/j.jtcms.2015.03.001
Spezialist für Fachbücher aus Akupunktur, Traditioneller Chinesischer Medizin, Qigong, Naturheilverfahren, Homöopathie und Physiotherapie. Jährlich auf vielen, wichtigen Kongressen wie der TCM-Kongress in Rothenburg, dem ASA-Kongress und dem Tao-Kongress in Österreich vertreten. Seit Jahren Verlagsleiter eines Verlages für TCM, Akupunktur und Homöopathie.