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Einführung in die wichtigsten Akupunktur-Stile und -Formen

von Michael von Gorkom

Die Akupunktur hat eine Jahrtausende alte Geschichte und die reicht weit über den Bereich der Chinesischen Medizin hinaus. Über die Zeit entwickelten sich zahlreiche Akupunktur-Stile und -Formen. Dieser Artikel versucht einen Überblick zu schaffen und verweist auf die entsprechende Literatur.

Viele Strömungen und Nebenarme treten in einem Fluss auf, wenn er seinen Lauf durch die Jahrtausende nimmt. Die Chinesische Medizin fließt ebenso: Inspiriert von den Ideen der klassischen Werke wie dem Huang Di Nei Jing (Klassiker des Gelben Kaisers), dem Nan Jing (Klassiker der Schwierigkeiten) oder dem I Ging (Buch der Wandlungen) haben viele Schulen der fernöstlichen Medizin die darin enthaltenen Weisheiten und medizinischen Erkenntnisse in Ihrem Sinne interpretiert und so in Diagnose wie Behandlung verschiedene Stile der Akupunktur entwickelt. Alle Akupunktur-Stile basieren auf den Grundlehren von Yin, Yang und Qi und den fünf Wandlungsphasen (wu xing). Sie widersprechen sich so gut wie nie, aber gewichten und differenzieren die Auswahl der Akupunkturpunkte und die Nadeltechnik sehr unterschiedlich. In unserer heutigen Adaption der Chinesischen Medizin stehen sie gleichberechtigt nebeneinander und ermöglichen uns als Behandelnden jeweils den Stil zu wählen, der uns, unseren Patienten und der Pathologie am besten entspricht.

Hier eine Übersicht der verschiedenen Akupunkur-Stile

TCM Akupunktur

Die Akupunktur der heutigen TCM, wie sie in den meist verbreiteten Lehrbüchern als Hauptströmung heutiger Behandlung mit Nadel und Moxibustion beschrieben wird, ist die Akupunktur der Syndrom-Muster von Zang Fu (Organe), Yin und Yang sowie Blut und Qi. Die Syndrom-Lehre der Yin- und Yang-Organe und Funktionskreise ist heute vorherrschend und stellt eine gute erste Grundlage für eine Entdeckung anderer Stilrichtungen der Akupunktur dar.

Nach dem Verbot traditioneller Heilweisen im China des frühen 20. Jahrhunderts wurde dieses System in einer restaurativen Gegenbewegung unter dem Begriff „TCM“ für Traditionelle Chinesische Medizin auch deswegen etabliert, weil es sich in der Nomenklatur der Organe am kompatibelsten zur modernen westlichen Medizin anhört. Die Akupunkturpunkte werden nach Ihrer beschriebenen Wirkung ausgewählt. Leber 8 zum Beispiel stärkt das Leberblut bei Leber Blut- und Yin-Mangel oder Perikard 6 beendet Übelkeit infolge rebellierenden Magen-Qi und Gallenbase 34 unterstützt und entspannt den Sehnenapparat des Körpers.

Neben klassischen Techniken wie der Moxibustion, des Blutentlassens oder Schröpfens, finden sich hier auch moderne Behandlungsweisen wie die Stimulation von Akupunkturpunkten mit Strom oder Licht in der Elektroakupunktur oder der Laserakupunktur.

Akupunktur nach den 5 Wandlungsphasen – wu xing

Alles Lebende ist dem Zyklus der mit den Jahreszeiten assoziierten fünf Wandlungsphasen (Holz-Feuer-Erde-Metall-Wasser) unterworfen. Dysbalancen und Störungen im Ablauf des Wandels von einem zum anderen Element sind die Ursache für Erkrankungen und diese können durch den Einsatz von Elementpunkten, die den einzelnen Phasen zugeordnet sind, behandelt werden. Der Amerikaner J.R. Worsley (1993-2003) griff dieses sehr alte Konzept im Amerika der 70ger Jahre wieder auf.

Akupunktur-Stil nach der Balance-Methode

Fachbuch zu dem Akupunkur-Stil Balance Methode
Fachbuch zu dem Akupunkur-Stil Balance Methode

Diese Methode stellt die Kenntnis um die Interdependenzen zwischen den einzelnen Meridianen in den Vordergrund und sucht dort nach Dysbalancen, die wiederum die Ursache für akute wie chronische Schmerzen und ihre psychischen Folgen sind.  In der Familientradition der taiwanesisch-amerikanischen Familie Tan verfeinerte Dr. Richard Teh-Fu Tan diesen ursprünglich auf den Ba Gua des I Ging (Trigramme) beruhenden Ansatz immer weiter.

Akupunktur-Stil nach Master Tung

Die Akupunktur nach dem 1975 verstorbenen taiwanesischen Meister Tung Ching Ch´ang entspringt ebenfalls einer – Generationen überdauernden – Familientradition mit Wurzeln in der Han-Dynastie. Diesem Stil liegen die Beziehungen der Yin und Yang Schichten, sowie des Inneren und Äußeren (biao li) zugrunde.

Japanische Akupunktur-Stile

Die japanische Akupunktur wurde vermutlich von Buddhistischen Mönchen um das Jahr 600 n.Chr. nach Japan gebracht und war bis Ende des 19 Jhr. ausschließlich blinden Therapeuten vorbehalten. So steht das Fühlen der Körperstrukturen, Pulsqualitäten und Meridianverläufen im Vordergrund. Die Nadelung ist sehr sanft und gleicht Yin und Yang aus. Die Moxibustion ist zentraler Bestandteil der Akupunktur.

Auch in Japan entstanden unterschiedliche Stile und Spielarten:

  • Japanische Meridiantherapie (keiraku chiryo)
    ist eine auf dem Nan Jing basierende Akupunktur, die mehr funktional und mehr die gesamten Meridiane und ihr Zusammenspiel betrachtend den energetischen Ausgleich sucht, bevor sie sich den Symptomen zuwendet.
  • Toyohari-Akupunktur
    Stilprägend ist bei dieser Form japanischer Akupunktur ist, dass die verwendeten Silber- und Goldnadeln selten bis gar nicht eingestochen werden, sondern den Punkt nur berühren.
  • Akupunktur im Stile von Kijiko Matsumoto
    Kijiko Matsumoto steht in der Tradition Yoshio Manakas und behandelt – nach palpativer Diagnose – Reflexzonen und Punkte gemäß der ursprünglichen Punktnamen.
  • Shonishin Kinder-Akupunktur
    Dieser Stil für Babys, Kleinkinder und Kinder trägt der Annahme Rechnung, dass hier die Akupunkturpunkte noch nicht voll entwickelt sind und ersetzt deshalb die Nadel meist durch manuelle und sehr sanfte Techniken.

Sa Am Akupunktur (Koreanische Akupunktur)

Dieser Stil stammt aus dem Korea des 17. Jahrhundert und wurde vom buddhistischen Mönch Sa Am entwickelt. Eine 4-Nadeltechmik behandelt Fülle und Leere sowie Hitze und Kälte in Meridianen und Organen auf der Basis des Ausgleichs in den Konzepten von Yin und Yang und den Wandlungsphasen (Wu Xing).

Akupunktur in Mikrosystemen

Die Erkenntnis, dass sich das Große (Organismus Mensch) im Kleinen (Mikrosystem) abbilden, diagnostizieren und behandeln lässt, steht über dieser Gruppe von Akupunktur-Stilen.

  • Ohrakupunktur
    Die Ohrakupunktur wurde im Frankreich des 20 Jhr. von Paul Nogier entwickelt und von der Chinesischen Medizin reimportiert.
  • Koreanische Handakupunktur
    Ebenfalls erst in den 70ger Jahren entwickelte der Koreaner Tae Woo Yoo ein Akupunktursystem für das Mikrosystem Hand.
  • Japanische und chinesische Schädelakupunktur
    Im Japanischen entwickelte die Shiatsu Meisterin Shizuko Yamamoto eine Schädelakupunktur. Im Chinesischen war es Dr. Shunfa Jiao, dessen Akupunktur mit Elektrostimulation kombiniert ist.
  • Augenakupunktur nach Boel
    Der dänische Arzt Dr. John Boel entwickelte aus verschiedenen Akupunktursystemen ein Behandlungsverfahren zur spezifischen Behandlung chronischer Augenerkrankungen, wie zum Beispiel der Makuladegeneration.

Kosmetische Akupunktur

Das sogenannte „microneedling“ hilft hier kosmetisch günstige Effekte zu erreichen. Die Haut steht im Focus dieser Akupunkturtechnik.

NADA-Suchtakupunktur

Das Nada-Protokoll steht für ein festgelegtes Akupunkturschema bei Suchtpatienten, das diese selbst erlernen und gegenseitig zur Suchtentwöhnung anwenden.

Diese Zusammenstellung der Akupunkur-Stile ist natürlich nicht vollständig und die stilistische Weiterentwicklung der Akupunktur ist nicht abgeschlossen. Jeder Behandelnde ist Teil dieses Flusses durch die Zeit indem er seine Behandlungstechniken verfeinert und ihre Effekte mit KollegInnen teilt und diskutiert. Akupunkturliteratur ist ein wichtiger Teil dieses Austausches. Viele dieser Akupunktur-Stile werden auch in der TCM-Literatur detailliert erklärt.