1. naturmed: Frau Dr. Schartner, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Um gleich einzusteigen: Was hat Sie dazu inspiriert, ein Buch über Verdauung zu schreiben, wo es doch schon einige gibt?
Das hat sich aus der täglichen Arbeit in meiner Praxis in Wien ergeben, wo ich sehr viele Patient*innen mit funktionellen Verdauungsbeschwerden betreue. Im Laufe eines Tages habe ich mich beim Erklären der Beschwerden oft wiederholt und weil ich weiß, dass man sich durch die Aufregung im Gespräch mit Ärzten oder Ärztinnen sowieso nicht alles merken kann, habe ich erst den Entschluss gefasst einiges von dem, was ich so erzähle, zu verschriftlichen. Ich habe aber bald gemerkt, dass das ein ziemlicher Aufwand ist und mich daher entschlossen, daraus ein Buch zu machen.
2. naturmed: Die Verdauung ist ein Thema, das viele Menschen betrifft, aber oft nicht ausreichend verstanden wird. Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Missverständnisse rund um das Thema Verdauung?
Wenn man sich etwa Werbung zu Reizdarmpräparaten ansieht, bekommt man oft den Eindruck vermittelt, eine ungünstige Zusammensetzung der Darmbakterien wäre die einzige oder bei jedem und jeder Betroffenen vorherrschende Ursache für diverse Beschwerden. Dann gibt es wieder Artikel zum Reizdarm, die fokussieren sich nur auf Ernährung oder auf eine überschießende Aktivität von Mastzellen (einer bestimmten Art von Immunzellen). Doch die Sache ist meist komplizierter – eine gesunde Verdauung baut auf einem gutem Zusammenspiel zwischen unwillkürlichem Nervensystem, Gehirn, Hormonen, Immunsystem, Mikrobiom,… auf. Und dann wirken natürliche noch Faktoren wie Ernährung, subjektivem Stresserleben etc ein.
3. naturmed: Ihr Buch verspricht, Lesern zu helfen, ihre Verdauung zu verbessern. Könnten Sie einige praktische Tipps oder Ratschläge geben, wie die Menschen in ihrem Alltag diese am besten umsetzen können, um ihre Verdauung zu unterstützen?
Das was allgemein als gesund gilt, ist auch zur Unterstützung einer gesunden Verdauung sinnvoll: ausreichend schlafen, trinken, ausgewogen ernähren, Bewegung machen, nicht rauchen, wenig Alkohol trinken, eine gesunde Balance zwischen gesunden und stressigen Phasen halten, …
Jetzt wissen wir alle, dass uns aus dieser Liste einiges leichter und anderes schwerer gelingt. Oft fallt es leichter, sich auf ein Ziel zu fokussieren, um dieses durchzuziehen. Nach einiger Zeit gelingt es oft, dass aus einer neuen Gewohnheit dann Routine wird. Oft ist es auch sinnvoll, sich bei neuen Vorsätzen Unterstützung aus dem Umfeld zu holen, etwa, wenn Partner/in oder Freund/innen auch gleich mitmachen.
Das Thema Ernrährung ist gerade, wenn jemand unter Verdauungsbeschwerden leidet, oft besser individuell zu klären – was oft in wenigen Stunden Zusammenarbeit mit einem/r Diätolog/in gut gelingt. Man sollte nicht einfach „auf Verdacht“ viele Lebensmittel dauerhaft aus der Ernährung eliminieren , weil es zu Mangelerscheinungen und Unterernährung kommen kann. Außerdem ist es für eine bunte, gesunde Darmflora wichtig, dass wir uns abwechslungsreich ernähren. Sehr viele Menschen mit funktionellen Verdauungsbeschwerden (aber auch das ist natürlich individuell unterschiedlich) profitieren von folgenden Empfehlungen: langsam und achtsam essen, starkes Völlegefühl, aber auch Hungergefühl vermeiden (das heißt regelmäßig essen), eher dünsten und kochen als braten und frittieren.
4. naturmed: In unserer modernen Gesellschaft gibt es viele Faktoren, die die Verdauung beeinflussen können, von stressigen Lebensstilen bis hin zu ungesunder Ernährung. Welche Rolle spielen diese Faktoren Ihrer Meinung nach und wie können Menschen sie am besten bewältigen?
Das Buch richtet sich ja an all jene Menschen, die unter Verdauungsbeschwerden leiden und die nach jeder Untersuchung hören, dass eh alles in Ordnung ist. Hier wird von so genannten „funktionellen“ Beschwerden gesprochen, da die Strukturen der Organe in Ordnung sind. Nun sind die Beschwerden natürlich trotzdem nicht „eingebildet“, sondern aus der Forschung weiß man, dass es gegenüber Gesunden zu Veränderungen im Nervensystem inkl Gehirn, Immunsystem, Hormonsystem, Mikrobiom etc kommt. Insofern spielen die subjektive Wahrnehmung von Stress oder die Ernährung wesentliche Faktoren, auf die individuell in der Therapie eingegangen werden kann.
5. naturmed: Ein Thema, das immer wieder diskutiert wird, ist die Bedeutung von Ballaststoffen für eine gesunde Verdauung. Könnten Sie erklären, warum Ballaststoffe wichtig sind und wie man sicherstellen kann, genug davon zu bekommen?
Ballaststoffe, also unverdauliche Nahrungsbestandteile, die bis den Dickdarm kommen, gelten ganz allgemein als äußerst wichtig für unsere Gesundheit. Sie erhöhen etwa die Menge einer Speise ohne, dass wir mehr Kalorien zu uns nehmen und führen zu früherem Sättigungsgefühl. Ballaststoffreiche Nahrung führt auch zu weniger starken Blutzuckerschwankungen und dient unserer gesunden Darmflora als Futter. Entstehende Stoffwechselprodukte sind wichtig für eine gesunde Darmschleimhaut.
Hält man sich an allgemeine Ernährungsempfehlungen von 5 Hand voll Obst und vor allem Gemüse täglich sowie der Konsumation von Vollkornprodukten,… sollten genug Ballaststoffe am Teller landen. Es gibt allerdings Ballaststoffe wie etwa Inulin (das in Topinambur oder Süßkartoffel enthalten ist), die sehr häufig zu vermehrter Gasbildung oder auch Durchfällen führen können. Gerade, wenn man unter einer empfindlichen Verdauung leidet, muss hier oft aufgepasst werden.
Ebenso sollte man, wenn man sich über einen längeren ZEitraum sehr ungesund mit wenig Ballaststoffen ernährt hat, nicht von einem Tag auf den anderen Unmengen an pflanzlichen Produkten zu sich nehmen, da es einige Zeit braucht, bis sich unsere Darmflora adaptiert.
6. naturmed: Viele Menschen leiden unter Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Verstopfung oder Durchfall. Dies sind ernste Themen. Warum haben Sie den humorvollen Zugang durch anschauliche Abbildungen und Karrikaturen gewählt?
Mir war klar, dass der Inhalt des Buches für alle, die sich nicht täglich mit dieser Materie beschäftigen, recht kompliziert und trocken erscheinen kann. Abbildungen und eine humorvolle HAltung können dem meiner Meinung nach schon stark entgegenwirken, so dass man sich (hoffe ich) nicht zum Lesen zwingen muss. Außerdem denke ich, dass eine solche Haltung ganz und gar nicht bedeutet, dass man Betroffene nicht ernst nimmt oder sich über sie lustig macht. Sehr geholfen hat natürlich, dass mein Bruder zur gleichen Zeit, als ich das Buch geschrieben habe, sein illustratorisches Talent entdeckt hat und große Freude daran gefunden hat, die Bilder für das Buch zu liefern.
7. naturmed: Abschließend, Frau Dr. Schartner, welche Bedeutung hat eine gesunde Verdauung für das allgemeine Wohlbefinden und welche kleinen Veränderungen können Menschen vornehmen, um langfristig eine gute Verdauung zu fördern?
Ich denke, für viele Menschen mit funktionellen Verdauungsbeschwerden steht außer Frage, dass ihre Lebensqualität oft stark eingeschränkt ist. Insofern hat eine Verbesserung der Verdauung natürlich gravierende Auswirkungen, die weit über den eigenen Körper hinausgehen – etwa wenn man weniger oft in der Arbeit fehlt, wieder mehr Unternehmungen mit Freund/innen macht oder mehr Energie für die Familie hat.
Meiner Erfahrung nach, ist es für Betroffene mit funktionellen Verdauungsbeschwerden meist sehr hilfreich, sich eine vertrauensvolle, professionelle Unterstützung zu suchen und dann gemeinsam zu schauen, an welchen Stellschrauben es am sinnvollsten ist zu beginnen.
Und eines ist mir noch wichtig zu erwähnen. Auch wenn es so wirkt, dass die Schulmedizin mit den Untersuchungen nur „gefährliche“ Erkrankungen ausschließt und bei funktionellen Beschwerden nichts anzubieten hätte: dem ist nicht so, auch schulmedizinisch stehen einige Mittel zur Verfügung, mit denen oft eine rasche Erleichterung herbeigeführt werden kann.
naturmed: Fr. Dr. Schartner, wir danken für das Gespräch.
So klappt’s mit der Verdauung
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Spezialist für Fachbücher aus Akupunktur, Traditioneller Chinesischer Medizin, Qigong, Naturheilverfahren, Homöopathie und Physiotherapie. Jährlich auf vielen, wichtigen Kongressen wie der TCM-Kongress in Rothenburg, dem ASA-Kongress und dem Tao-Kongress in Österreich vertreten. Seit Jahren Verlagsleiter eines Verlages für TCM, Akupunktur und Homöopathie.