Im Zuge des Coronavirus hier ein Beitrag für TCM-Therapeuten über präventive Maßnahmen mit Kräutergerichten und Kräutertees
Im ersten Beitrag ging es um eine Einordnung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) aus der Sicht der Chinesischen Medizin, sowie um eine grundlegende Erweiterung hygieneähnlicher Maßnahmen. Der vorliegende Beitrag soll das zhèng qì thematisieren und Maßnahmen zur Corona-Prävention aufzeigen, es mit Nahrung zu stärken (bǔ yì zhèng qì 补益正气 ), zu stützen (fú zhèng 扶正) bzw. zu regulieren (tiáo lǐ 调理).
Bedeutung und Funktion des zhèng qì 正气
Die vitale Energie, auch „aufrechtes Qi“ genannt, ist chinesisch das zhèng qì 正气. Es ist die Kraft, die einem pathogenen Faktor (xié qì 邪气) entgegensteht und kann in westlichen, bzw. medizinwissenschaftlichen Begriffen als ein wichtiger Aspekt des Immunsystems angesehen werden. Ist das Pathogen (xié qì 邪气) stark, und/oder das zhèng qì zu schwach, können die Yáng-Schichten oder Yáng-Ebenen des Körpers das Pathogen nicht aufhalten, das nach und nach (fú ér hòu fā 伏而后发) eindringen oder im Sinne eines direkten Angriffs (zhí zhòng 直中) die tiefen Schichten und Ebenen direkt attackieren kann.
Bei einer Schwäche des zhèng qì geht man meistens davon aus, dass diese „ vitale Energie“ gestützt, stabilisiert oder gestärkt werden muss, um Krankheit zu vermeiden (fú zhèng 扶正).
Die Hautrezeptur wäre demnach yù píng fēng sǎn 玉屏风散 oder andere ähnliche Rezepturen, wie bǔ zhōng yì qì tāng 补中益气汤, rén shēn yǎng róng tāng 人参养荣汤, shí quán dà bǔ tāng 十全大补汤 oder das yáng stärkende Rezepturen. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass jegliches Qi ebenso eine yīn-Grundlage hat. Das zhèng qì setzt sich aus vielen „Kräften/Energien“ unseres Körpers zusammen, bzw. ist von verschiedenen Aspekten abhängig.
Den angeborenen und vererbten Energien (vorgeburtliches jīng qi 精气 und yuán qì 元气), den Energien aus der Nahrung (gǔ qì 谷气 und den jīn yè 津液), aus der Atmungsenergie (dà qì 大气 erzeugt zōng qì 宗气) sowie der „Kraft“ des Herzens und des shén 神 . Das zhèng qì ist somit geprägt durch unsere Konstitution, unseren aktuellen Zustand und unseren mentalen und geistigen Zustand.
Das bedeutet, dass beide yīn 阴 und yáng 阳 Energien für die Kraft des zhèng qì verantwortlich sind, bzw. dass eine zhèng qì-Schwäche gleichzeitig mit einem Leere- bzw. Schwächezustand an yīn-Substanzen vergesellschaftet ist, wie beispielsweise bei einem Säftemangel, einer Blutschwäche oder einem yīn-Mangel. In diesem Fall sind Säfte oder Blut nährende Kräuter indiziert, wie beispielsweise in der Rezeptur guī pí tāng 归脾汤. Bei einer yīn-Schwäche benötigt man yīn-nährende Kräuter und Rezepturen, hier ist huáng qí 黄芪 (auch die unterschiedlichen Präparationen von huáng qí) deutlich zu warm. In einem solchen Fall ist shēng mài sàn 生脉散 oder shēn líng bái zhú sàn 参苓白术散 besser geeignet.
Ferner darf nicht vergessen werden, dass die fehlerhafte Funktion des zhèng qì nicht nur durch eine Leere bedingt sein kann. Es ist ebenfalls möglich, dass die zhèng qì-Funktion gehindert wird, sodass eine alleinige tonisierende oder substituierende Maßnahme ein großer Fehler wäre. Fülle-Zustände, wie eine Qi-Stagnation, Blut-Stase oder eine Fülle an Feuchtigkeit, Schleim, Kälte oder Hitze, können die Funktion des zhèng qì’s beeinträchtigen, sodass in diesem Fall andere Kräuter genutzt, oder die oben genannten Rezepturen modifiziert werden müssen.
Die verschiedenen Methoden, das zhèng qì zu stärken, zu stützen oder zu regulieren sind:
- Bǔ yì zhèng qì 补益正气 : Tonisieren und Unterstützen des zhèng qì
- Fú zhèng yǐ qù xié 扶正以祛邪: Das zhèng qì stärken, um das Pathogen zu beseitigenoder Fú zhèng gōng xié 扶正攻邪: Das zhèng qì stärken, um das Pathogen zu attackieren
- Qù xié yǐ fú zhèng 祛邪以扶正 das Pathogen beseitigen, um das zhèng qì (sekundär) zu kräftigen
Diese Methoden dienen ebenso als Ausgangspunkt, um später die Erkrankung durch SARS-CoV-2 direkt anzugehen.
Prävention durch Nahrungsmittel mit leichten Kräutern (Yào shí tong yuán 药食同源)
Achtung: Der unsachgemäße Verzehr von Kräutern kann das zhèng qì schwächen!
Wenn man nicht krank ist, sollte man keine Kräuter benutzen. Kräuter haben einen mehr oder weniger starken Einfluss auf die drei Bereiche (sān cái 三才)* unseres Körpers und somit auf den ganzen Organismus. *(Sān Jiāo 三焦, Sān Bǎo 三宝, Sān Bù 三部 etc.).
So sagt das Huáng dì nèi jīng (黄帝内经 HDNJ) im sù wèn 素问 Kapitel 70, dass ein inadäquater Verzehr von Kräutern das zhèng qì schwächen kann. Denn alle Kräuter sind mehr oder weniger „toxisch“. (Toxisch steht hier für ihre potente kraftvolle Wirkung und nicht für ein tödliches Gift.)
Und in Kapitel 22 des sù wèn 素问 steht:
„Alle Kräuter sind dafür gedacht, das pathogene Qi (xié qì 邪气) zu beseitigen“…
Wenn man dagegen:
„Getreide, Früchte, Fleisch und Gemüse mit einander kombiniert, wird das jīng 精 (die Essenz) genährt und das zhèng qì (aufrechtes Qi) gestärkt. “
Besonders als Therapeuten der Chinesischen Medizin müssen wir darauf achten! Aus diesem Grund ist es sinnvoll, eher auf Nahrungsmittel zurückzugreifen und diese mit wenigen „sanften“ Kräutern zu ergänzen und somit die Wirkung der Nahrungsmittel zu verstärken.
Hier nun beispielhafte, bekannte Kräutergerichte (yào shàn 药膳) und Kräutertees (yào chá 药茶 ) (damit sind einfache Tees (chá) gemeint und nicht Kräuterabkochungen yào tāng 药汤), erweitert für die aktuelle Situation bezüglich der Coronavirus-Erkrankung. Diese yào shàn und yào chá können natürlich auch zur Vorbeugung für die „normale“ (Influenza-) Grippe genutzt werden.
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Yào shàn 药膳 (Kräutergericht) und Yào chá 药茶 (Kräutertee) Rezepturen:
1. Bei Qi- Schwäche 气虚
Mǐ Zhōu 米粥 (Congee):
Shān yào 山药 (Rz. dioscoreae) 10 -30g
Pú gōng yīng 蒲公英 9-15g (in Teebeutel)
Jīng mǐ 粳米 (Langkornreis) 100g
Sù mǐ 粟米 (Hirse) 50g
Jī tāng 鸡汤 (Hühnersuppe):
Ein ganzes Huhn (Suppenhuhn oder einzelne Teile eines Huhns)
(die Mengen der folgenden Kräuter sind auf ein ganzes Huhn berechnet)
Dǎng shēn 党参 (Codonopsis rx.) 20-30g
Yú xīng cǎo 鱼腥草 (Houttuynia cordata) 15g (in Teebeutel)
Dà zǎo 大枣 (Jujubae fructus) 5-10 Stücke
Nuò mǐ 糯米 (Klebreis) 50g
Shēng jiāng 生姜 (frischer Ingwer) 6 Scheiben
Dà cōng 大葱(Porree) 3 Stücke (ca. 10 cm lange Stücke)
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2. Bei Qi- und yīn-Schwäche 气阴虚
Yào chá 药茶 (Kräutertee):
Xī yáng shēn 西洋参 (Panax quinquefolius) 3g – 6g, im Anschluss essen
Chén pí 陈皮 (Pericarpium citri reticulatae) 6g
Yú xīng cǎo 鱼腥草 (Houttuynia cordata) 6g
Yào chá 药茶 (Kräutertee):
Tài zǐ shēn 太子参 (Pseudostellaria rx.) 6g
Mài mén dōng 麦门冬 (Ophiopogonis rx.) 9g
Sāng yè 桑叶 (Folium mori) 6g
Lú gēn 芦根 (Phragmitis rz.) 6g
Mǐ Zhōu 米粥 (Congee):
Lián zǐ 莲子 (Semen nelumbinis) 10-20 Stücke
Bǎi hé 百合 (Bulbus lilii) 9g
Jīng mǐ 粳米 (Langkornreis) 100g
Mǐ Zhōu 米粥 (Congee):
Lián zǐ莲子 (Semen nelumbinis) 10-20 Stück
Shān yào 山药 (Rz. dioscoreae) 10- 30g
Yì yǐ rén 薏苡仁 (Semen coicis) 10- 30g
Chén pí 陈皮 (Pericarpium citri reticulatae) 3- 6g
Shēng jiāng 生姜 (frischer Ingwer) 2-5 Scheiben
Jīng mǐ 粳米 (Langkornreis) 100-200g
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3. Bei Blut-Schwäche 血虚
Mǐ Zhōu 米粥 (Congee):
Lóng yǎn 龙眼 (Longan-Früchte) 5-10 Stücke
Dà zǎo 大枣 (Jujubae fructus) 5-20 Stücke
Lián zǐ 莲子 (Semen nelumbinis) 10-20 Stücke
Xìng rén 杏仁 (Semen armeniacae) 3g
Jīng mǐ 粳米 (Langkornreis) 100-200g
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4. Bei yáng-Schwäche 阳虚
Yào shàn 药膳 (Kräutergericht):
yáng ròu 羊肉 (Lammfleisch) 200g
Bái luó bo 白萝卜(weißer Rettich) 200g
Cōng bái 葱白(weißer Teil der Frühlingszwiebel) 3-5 Stück
Shēng jiāng 生姜(frischer Ingwer) 6 Scheiben
Dà suàn 大蒜 (Knoblauch) 2-5 Zehen
Guì zhī 桂枝 (Zimt-Zweig) nach Geschmack
Huā jiāo 花椒 (Sichuan Pfeffer) nach Geschmack
Jīn yín huā 金银花 (Flos lonicerae japonicae) 15g (im Teebeutel zusammen kochen)
Lú gēn 芦根 (Phragmitis rz.) 15g (im Teebeutel zusammen kochen)
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5. Bei Feuchtigkeit 湿气
Yào chá 药茶 (Kräutertee):
Chǎo yì yǐ rén 炒薏苡仁 (geröstetes Coicis semen) 15g
Shān yào 山药 (Rz. dioscoreae) 9g
Lián zǐ 莲子 (Semen nelumbinis) 9g
Bái máo gēn 白茅根 (Imperata rz.) 6g (in Teebeutel)
Kochen und die Flüssigkeit als Tee trinken.
Yào chá 药茶 (Kräutertee):
Chǎo Yì yǐ rén 炒薏苡仁 (geröstetes Coicis semen) 15g
Jīn yín huā 金银花 (Flos lonicerae japonicae) 3g
Chén pí 陈皮 (Pericarpium citri reticulatae) 6g
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6. Bei Qi-Stagnation 气郁
Huā chá 花茶 (Blütentee):
Méi guī huā 玫瑰花 (Flos rosae chinenesis) 3g
Mò lì huā 茉莉花 (Jasminblüte) 3g
Jú huā 菊花 (Flos crysanthemi) 3g
Sāng yè 桑叶 (Folium mori) 3g
Huā Zhōu 花粥 (Blüten-Congee):
Fó shǒu huā 佛手花 (Flos citri sarcodactylis) 6-9g
Jīn yín huā 金银花 (Flos lonicerae japonicae) 6-9g
Jú huā 菊花 (Flos crysanthemi) 6-9g (in Teebeutel)
Jīng mǐ 粳米 (Langkornreis) 100g
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7. Bei Feuchtigkeit und Qi-Stagnation mit Verdauungsstörung
Huā chá 花茶 (Blütentee):
Fó shǒu huā 佛手花 (Flos citri sarcodactylis) 3g
Hòu pǔ huā 厚朴花 (Flos magnoliae officinalis) 3g
Bái biǎn dòu huā 白扁豆花 (Flos lablab album) 3g
Shēng mài yá 生大麦芽 (Fructus hordei germinates) 3g
Shēng shén qǔ 生神曲 3g
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8. Bei Qi-Stagnation und Trockenheit (trockener Schleim)
Yào chá 药茶 (Kräutertee):
Guì huā 桂花 (Osmantus fragrans) 2g
Luó hàn guǒ 罗汉果 (Siraitia grosvenorii) 3g
als Ersatz für Guì huā 桂花 auch Lǜ méi huā 绿梅花 (Flos mume) oder Là méi huā 腊梅花 (Flos chimonanthi praecocis) möglich.
Bei allen Rezepturen kann etwas frischer Ingwer (Shēng jiāng 生姜) ergänzt werden und auch die Dosierung sollte man entsprechend den persönlichen Vorlieben und Geschmäckern anpassen.
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Quellen: Chinesische Originalliteratur übersetzt von Xiaoyan Wiesemann
1. Huáng dì nèi jīng 黄帝内经(Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin)
2. Běn cǎo gāng mù 本草纲目 (Compendium of Materia Medica), Lǐ shí zhēn 李时珍
3. Prävention und Behandlung bei Coronavirus-Erkrankung in der Chinesischen Medizin, Shanghai Science Popularization Press (nur in Chinesisch)
4. Sammelung: Offizielle Dokumente aus Einzelner Provinz in China – Prävention und Behandlung bei Coronavirus-Erkrankung in der Chinesischen Medizin (nur in Chinesisch)
Gerd Wiesemann MD/Ph.D TCM China Doctor of Medicine (TCM, ZCMU).
Fachlicher Direktor und Stv. geschäftsführender Direktor der SGTCM. Seit Beginn der 80er Jahren hat sich Gerd Wiesemann auf das Studium der Chinesische Medizin konzentriert. Zunächst in Deutschland und in Europa studierte Gerd vornehmlich an den TCM-Hochschulen in Chengdu / Sichuan, in Hangzhou / Zhejiang, sowie bei seinem Lehrer und Doktorvater Dr. Wu Boping. 2006-2010 folgte dann ein 4-jähriges Doktorstudium an der Zhejiang Chinese Medical University in Hangzhou mit einem Abschluss in Doctor of Medicine (Internal Medicine of TCM), mit dem Schwerpunkt Toxine als Pathogene. 32 Jahre Unterrichtstätigkeit, Gastprofessur an der ZCMU. 2010 Mitbegründer der tcm-academy cologne und Aufbau eines TCM Bachelorprogramms. Zusammen mit seiner Frau gründete er die SGTCM als Zusammenschluss des Mercurius Institutes und der TCM-Academy in Kooperation mit der ZCMU in Hangzhou/ China. Praxis-Tel.: 0178-7174942; Email.: [email protected]