Naturmed Nlog - Therapeuten Fachbuchblog

Interview mit Dr. Robert Schleip, Autor und Forscher zum Stand der heutigen Faszienforschung anlässlich des Fascia Research Congresses in Berlin

Sehr geehrter Herr Dr. Schleip,

Sie sind ein bekannter Forscher und Autor zahlreicher Faszienbücher für Patienten, wie auch für Therapeuten. In enger Zusammenarbeit mit zahlreichen internationalen Forschungsgruppen, die sich ebenfalls der Faszienforschung widmen, versuchen Sie, die biomechanischen, sensorischen und physiologischen Eigenschaften der körperweiten Fasziennetzwerks im menschlichen Körper zu erforschen.

Wieviel Forschung brauchen wir über die Faszien?

Dr. Schleip: Forschung ist sinnvoll und notwendig. Gerade in der Faszienforschung hat sich in den letzten Jahren viel getan. Durch weltweite Forschungen, wie beispielsweise an der Harvard Medical School, ist ein regelrechter Forschungs-Boom entstanden. Mit neuen Messmethoden, wie z.B. mit hochauflösenden Ultraschallgeräten lässt sich qualitativ und quantitativ noch besser am Patienten arbeiten. So können Sie mit diesen Geräten neue fasziale Verbindungen nachweisen. Natürlich ist die Evaluierung mit den Händen wichtig. Doch durch moderne Messmethoden können Sie dem Patienten sagen, dass sich die Steifigkeit seines Bindegewebes seit der letzten Behandlung um 8% verbessert hat.

Welchen praktischen Nutzen kann ein Therapeut aus diesen Studienergebnissen für seine praktische Arbeit ziehen?

Dr. Schleip: Einige althergebrachte Methoden haben sich durch die Forschung bestätigt, andere müssen aufgrund neuer Forschungsergebnisse umgeschrieben werden. So gingen z.B. bis vor kurzem die meisten Manualtherapeuten davon aus, dass die myofasziale Spirallinie, wie von Tom Myers beschrieben, über den ganzen Körper als eine diagonale Schlinge verläuft. Jetzt hat man aber festgestellt, dass es dafür nur oberhalb des Beckenkamms eine fasziale Vernetzungs-Evidenz gibt. Wer also heute mit dieser Verbindung auch im Becken- u. Bein-Bereich arbeiten möchte, sollte sich daher mit seinen Griffen und seiner Aufmerksamkeit mehr auf eine neuromuskuläre als eine passiv-fasziale Wirkung ausrichten. Es ist also wichtig, dass der Therapeut sein Wissen möglichst immer auf dem aktuellsten Stand hält.

Wo kann sich ein Therapeut über bisherige Studien informieren oder sich selbst an Studien beteiligen?

Dr. Schleip: Am besten besorgen sich die Therapeuten diese Infos von den Forschern selbst – aus erster Hand. Der diesjährige Fascia Research Congress in Berlin bietet die beste Möglichkeit dazu. Der Kongress findet alle 3 Jahre und jetzt zum ersten Mal in Deutschland statt. Der nächste Kongress danach wird in 3 Jahren vermutlich in Montreal sein. Der diesjährige Kongress ist also eine sehr günstige Gelegenheit, sich über die neuesten Forschungsergebnisse zum Thema Faszien zu informieren.
Die zweite Möglichkeit ist die, Mitglied bei der Fascia Research Society zu werden. Mitglieder erhalten über eine digitale Plattform Zugriff sowie ein kostenfreies digitales Zeitschriftenabonnement auf viele Studienergebnisse.

In diesem Jahr findet der Fascia Research Congress in Berlin statt. Wie würden Sie die Stellung der deutschen Faszienforschung im internationalen Vergleich sehen?

Dr. Schleip: Die Faszienforschung in Deutschland kann sich sehen lassen. In den letzten Jahren hat sich viel getan: So hat sich ein starkes Netzwerk zwischen verschiedenen universitären Gruppen gebildet. Unter den Faszienforschungsgruppen an den Universitäten Ulm, Frankfurt, Chemnitz und Jena findet ein reger Austausch hinsichtlich Methoden, Doktoranten und Beiträgen statt.

Die Zahl der jungen Manual-Therapeuten hat sich in den letzten Jahren stark zugenommen. Ist dieser Kongress nur etwas für die Super-Spezialisten oder können die Jungen auch von dem Kongress profitieren?

Dr. Schleip: Der Kongress spricht alle Therapeuten an – die erfahrenen und die jungen. Für den einen sind diese wissenschaftlichen Erkenntnisse neu, für den anderen werden bestimmte Konzepte bestätigt, aber einige auch neu definiert. Es ist wichtig, dass man sich weiterentwickelt und diese neuen Erkenntnisse in seine tägliche Arbeit mit einbezieht. Erfahrene Therapeuten können daher ihr Wissen wissenschaftlich vertiefen – gerade jüngere Therapeuten können sehen, wie man mit Unterstützung moderner Technik noch effizienter arbeiten kann. Von großem Interesse dürfte auch der Fitness- und Yogabereich sein, der auf dem Kongress einen größeren Bereich einnehmen wird.

Inzwischen beschäftigen sich auch Therapeuten aus anderen Gesundheitsbereichen, wie der chinesischen Medizin, Naturheilkundler u.a. immer mehr mit dem Thema Faszien. Bietet dieser Kongress auch diesen einen Einstieg in die Materie?

Dr. Schleip: Auf jeden Fall. Gerade die Forschungen und Erkenntnisse von Dr. Helene Langevin, von der Harvard Medical School, über die Verbindung von Faszien und Akupunkturleitbahnen, weist spannende Ergebnisse auf. So konnte sie belegen, dass die meisten Meridiane (Akupunktur-Leitbahnen) auf faszialen Septen liegen. Diese und andere Ergebnisse sind sowohl für Therapeuten der manuellen Therapien, Yoga- und Akupunktur-Therapeuten von höchstem Interesse. Ein besonderes Highlight an diesem Kongress wird auch der mit Spannung erwartete Beitrag von Prof. Peter Friedl sein, der eine Kongruenz zwischen den Primo Vascular Channels (Bonghan-Kanäle) und den von seinem Team mit modernster Mikroskopie gefilmten ‚Conduit-Kanälen‘ aufzeigen wird, über die sich die Fibroblasten durch das fasziale Bindegewebe bewegen. Das ist auch für Akupunkteure eine faszinierende Neu-Entwicklung.

Herr Dr. Schleip, wir danken Ihnen für das Gespräch.

[highlight] Weitere Infos, das Programm und die Anmeldung zum Fascia-Research-Congress finden Sie >>hier: www.fasciacongress.org [/highlight]