Lesen Sie hier einen Beitrag von Dr. G. Neeb
Als ich letzten Sommer eine Vorlesung zum Thema Long-Covid gehalten habe, war ich von der Mange an Studien zum Thema SARS-CoV2 fast erschlagen. Die Infos und Statistiken waren überwältigend und zu allen Themenbereichen.
Da aber mein Beruf das Anwenden Chinesischer Medizin und mein langjähriges Hobby das menschliche Mikrobiom (Mikrobiota) ist, war ich besonders von drei Studienergebnissen fasziniert.
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Coronaviren beeinflussen die natürliche Immunantwort durch Störung der Darmbakterien
Wie wir beobachteten, klagten viele Patienten bei einer akuten Corona-Infektion plötzlich unter Übersäuerung des Magens (nach Chinesischer Medizin „Magen-Feuer“), was Monate später nach Besserung auch bei erneuter Corona-Infektion ebenfalls wieder auftrat. Vermutet wurden durch die ACE-2 Rezeptoren im Verdauungstrakt (nicht nur in den Atemwegen und Herz), und es bestanden bei vielen Erkrankten auch Durchfälle oder Darmkrämpfe.
„Die Infektion der Atemwege mit SARS-CoV-2 beeinflusst das Mikrobiom des Magen-Darm-Trakts; der Mikroorganismen und der Immunantwort der Atemwege. Gastrointestinale Infektionen werden jedoch oft übersehen. Daher kann ein Fokus auf Darmsymptome und die Veränderung oder Modifikation von Darmmikroben oder deren Metaboliten als Reaktion auf COVID-19 eine nützliche therapeutische Option sein.“
Aus: Gastrointestinal Involvement in SARS-CoV-2 Infection, in Viruses 2022, 14(6), 1188;, 30.Mai 20221
In einer italienischen Studie vom April 2022 wurden Stuhlproben vieler SARS-CoV-2 infizierter Patienten mit Nicht-Infizierten und den nach 30 Tage angezüchteten infizierten Bakterien elektronenmikroskopisch verglichen.2. Sie kam zum Schluß, daß das Virus zwei Wirkmechanismen hat: „(das Virus..) infiziert sowohl die eukaryotische Zelle des Menschen, aber es infiziert auch die menschliche Bakterienflora .(..) Unsere Ergebnisse bestätigen die Rolle bakterieller Kofaktoren bei der Vermehrung des COVID-19-Coronavirus während dieser neuen Epidemie, die durch die Wirksamkeit einiger zuvor beschriebener Antibiotika in der frühen Phase der Virusinfektion bestätigt wurde. Ob es auch bei Langzeiterkrankungen eine Rolle spielt, bleibt abzuwarten.“3
Corona ist also eine Erkrankung des des Menschen einschließlich des humanen Metabioms. Die für das Immunsystem und seine Regulierung wichtigen Darmbakterien sorgen bekannterweise für Überreaktionen wie Autoimmunerkrankungen oder Unterreaktionen wie bei der Abwehr von Krebszellen.
Bei Befall von Coronaviren-19 verschiebt sich das Verhältnis4 von Bakterien, Viren und Pilzen im Darm zu Gunsten von Hefepilzen (Candida) und zu Ungunsten wichtiger Anaerobier wie Faeclibacterium prauznitzii. Aber auch wie das Darmmikrobiom vor dem Infekt aussieht, hat einen Einfluß auf die Infektion. Patienten dem geringem Anteil an Bifidobakterien im Darm scheinen außerdem dazu zu neigen, bei einer Covid-Infektion zu einem Zytokinsturm zu neigen.5 (Siehe Bild unten)
Dr. Sabine Hazan6, empfiehlt zur Steigerung von Bifidobakterien fermentierte Nahrungsmittel gegenüber Probiotika, bekannt hierzu sind Artichocken, der fermentierte Wasserkefir (Tibi), unsterilisierte Yoghurts und Kefir.
Unter chinesischen Arzneimitteln7,8 z.B. Astragalus m. (Huang Qi), sowie Ganoderma lucidum (Ling Zhi)9, Polygonum Cuspidatum (Hu Zhang), Smilax glabra (Tu Fu Ling), die sich auch durch ihren Resveratrolgehalt auszeichnen.
Im Sommer 2022 war die Forschung aus China hierzu bereits interessant:10
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Interessant ist hier der Hinweis, daß das auch gegen Hepatitis B-Viren verwendete11 Yin Chen Hao (Artemisia capillaris) die Bifidobakterien fördert, während der botanische Verwandte, Artemisia annua, dessen Extrakt gegen Malaria und Eppstein-Barr-Viren Verwendung findet, auch bei Covid Einsatz fand.12
Fazit: Das Darm-Mikrobiom wird also nach Corona-Infekten gestört, was zu Auswirkungen auf das Immunsystem führen muß.
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Corona-Infektionen erhöhten das Auftreten von Autoimmunerkrankungen in Deutschland
Im Januar 2023 erschien der Preprint einer deutschen Studie, welche das Auftreten von Autoimmunerkrankungen nach Covid-Infekten untersuchte und kam zu dem überraschenden Schluß, daß unter den über 640.000 Patienten die Wahrscheinlichkeit an einer Autoimmunreaktion, also einer Überreaktion des Immunsystems zu leiden, um fast 43% höher war, als erwartet.13. Natürlich stellt sich hier die Frage, nach dem „Warum“. Das SARS-CoV2-Virus kann auch hemmende Wirkungen auf die Immunreaktion haben, wie die bereits in meinem Skript aus 2022 aufgelistet hatte.14
Wenn also immunologische Mechanismen wie T-Lymphozyten oder Interferon15 durch das Spike-Protein abgeschwächt werden können, wie kann es also sein, daß das Gegenteil, nämlich autoagressive Reaktionen gefördert werden ?
Die deutsche Studie oben nennt beispielsweise Auftreten wie die Hashimoto Thyroiditis, Rheumatoide Arthritis, oder das Sjögren syndrome, aber auch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa:
Tabelle aus: Incident autoimmune diseases in association with a SARS-CoV-2 infection: A matched cohort study. Falko Tesch, Franz Ehm, Annika Vivirito, Danny Wende, Manuel Batram, Friedrich Loser, Simone Menzer, Josephine Jacob, Martin Roessler, Martin Seifert, Barbara Kind, Christina König, Claudia Schulte, Tilo Buschmann, Dagmar Hertle, Pedro Ballesteros, Stefan Baßler, Barbara Bertele, Thomas Bitterer, Cordula Riederer, Franziska Sobik, Lukas Reitzle, Christa Scheidt-Nave, Jochen Schmitt; medRxiv 2023.01.25.23285014; doi: https://doi.org/10.1101/2023.01.25.23285014.
Beim Nachforschen in den Forschungserebnissen aus China stieß ich dann auf einen genialen Ansatz, der die beiden Welten verbindet.
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Untersuchung des Darmmikrobioms bei Patienten mit Colitis ulcerosa, nach Aufteilung in verschiedene Syndrome der Chinesischen Medizin
In einer Metaanalyse verschiedender Studien heißt es zur ulzerativen Colitis (UC):
„Die Alten sagten, „Fülle ist Yangming und Leere ist Taiyin. Menschen mit starkem Yang im Körper neigen zu Feuchtigkeit und Hitze, oder Feuchtigkeit wird zu Hitze, und Menschen mit Yang-Mangel im Körper spüren leicht Kälte und Feuchtigkeit , oder Feuchtigkeit verwandelt sich in Yin; kann sich sowohl zu Schaden am Qi- als auch zu Blutschäden entwickeln und dann zu einem Mangel an beidem Yin und Yang entwickeln. Der Krankheitsverlauf ist schleichend, basierend auf Milz- und Magenleere, mit Nässe-Hitze, Qi-Stagnation, Blutstase und Kälte-Nässe als Anfangszeichen, längerfristig mit Beteiligung der Nieren, hauptsächlich durch Mangel an Nieren-Yin und Nieren-Yang.“
Wenn wir nun also eins und eins zusammenzählen, so ergibt sich die Hypothese, daß die durch SARS-CoV2-Viren gestörten, immunregulativen Darmbakterien durch ein regulatives Ungleichgewicht maßgeblich an der Post-Covid-Autoimmunerkrankungen beteiligt sind. Eine Therapie dieser neu entstandenen Autoimmunerkrankungen würde demnach entweder präbiotisch mittels pflanzlicher Arzneien der Chinesischen Medizin (wie in den Tabellen oben), oder probiotische durch den Einsatz von Bifidobakterien und Stämmen von Milchsäurebakterien wesentlich zur Gesundung beitragen. Auch beide Optionen zu kombinieren erscheint ein vielversprechender Weg.
Ob dies auch ein neuer Ansatz bei anderen Post-Covid-Folgen sein wird, muß sich zeigen.
Ein Beitrag von Dr. Gunter Neeb.
Quellen:
3 “Die Bakteriengattungen wie Dorea, Fusicatenibacter, Klebsiella und Streptococcus nahmen ab, während andere Bakteriengattungen wie Campylobacter, Prevotella, Staphylococcus, Bacteroides und Cytobacter zunahmen.“ https://www.youtube.com/watch?v=lhXQcCtD9x0&ab_channel=DrbeenMedicalLectures
5 https://www.youtube.com/watch?v=Qzr7edxnW9M&ab_channel=DrbeenMedicalLectures ab Minute 1:01:00
6“Let’s Talk SH!T: Disease, Digestion and Fecal Transplants“ von Sabine Hazan MD Thomas Borody MD Sheli Ellsworth, Ventura Breeze Press (5. Dezember 2020)
7Chinese Journal of Natural Medicines: Volume 15, Issue 4, April 2017, Pages 241-254; Impact of Qi-invigorating traditional Chinese medicines on intestinal flora: A basis for rational choice of prebiotics; by: Xiao-Meng WANG, Xiao-Bo LI, Ying PENG; https://doi.org/10.1016/S1875-536430041-9 sowie <An insoluble polysaccharide from the sclerotium of Poria cocos improves hyperglycemia, hyperlipidemia and hepatic steatosis in ob/ob mice via modulation of gut microbiota>, in:https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30704621/
10 Journal of Ethnopharmacology, Volume 179, 17 February 2016, Pages 253-264; Journal of Could the gut microbiota reconcile the oral bioavailability conundrum of traditional herbs? By: Feng Chen, Qi Wen, Jun Jiang, Hai-Long Li et al.; https://doi.org/10.1016/j.jep.2015.12.031
Targeting the Human Genome–Microbiome Axis for Drug Discovery: Inspirations from Global Systems Biology and Traditional Chinese Medicine, by: Liping Zhao, Jeremy K. Nicholson, Aiping Lu, Zhengtao Wang, Huiru Tang, Elaine Holmes, Jian Shen, Xu Zhang, Jia V. Li, and John C. Lindon, Journal of Proteome Research 2012 11 (7), 3509-3519, DOI: 10.1021/pr3001628; and: 赵立平, 张晨虹; Zhao Liping, Zhang Chenhong , 建议启动“国际华族健康微生物组研究计划”; Proposal on International Healthy Chinese Microbiome Project, 中国科学院院刊, 2017, 32(3): 251-259; Bulletin of Chinese Academy of Sciences, 2017, 32(3): 251-259, at: https://baike.baidu.com/item/赵立平/56059
12 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7276816/, sowie https://www.nature.com/articles/s41598-021-93361-y undhttps://www.dw.com/de/artemisia-ein-kraut-gegen-covid-19/a-53936500
14 https://www.amazon.de/Long-Covid-wissen-k%C3%B6nnen-Geeignet-Therapeuten-ebook/dp/B0B6RTG7VD/ref=sr_1_6?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&crid=1Z1R4N3R7SDX0&keywords=gunter+neeb&qid=1676494462&sprefix=gunter+neeb%2Caps%2C104&sr=8-6
16 赵志敏. 溃疡性结肠炎常见中医证型调查及其与肠道菌群的相关性研究[J]. 四川中医, 2021, 39(8): 52-55. und https://www.science.org/doi/10.1126/science.336.6086.1248
Prof. Dr. med.sin. (China) Gunter Ralf Neeb, besitzt umfangreichen Kenntnisse der Mikrobiologie. Er studierte an der Hochschule für Chinesische Medizin der Provinz Yunnan und später an der Internationalen Hochschule für TCM Tianjin. 1998 schloss er das Studium als erster Nicht-Asiate mit einem Magistergrad in Chinesischer Innerer Medizin ab. 2001 beendete er seinen 12-jährigen Studienaufenthalt in China und kehrte als erster Nicht-Chinese mit einem Doktorgrad der Chinesischen Medizin nach Deutschland zurück. 1998 wurde er als Dozent in den Universitätslehrkörper aufgenommen. Heute ist er Doktor der chinesischen Medizin auf drei Kontinenten und als bekannter Lehrer und Dozent tätig.