Die Heilkunst des Zhang Jiebin – ist eine Homage an die altchinesische Medizin, die, losgelöst vom Mainstream der TCM, ganz andere Wege geht und einen anderen Zugang zum Patienten bietet.
Udo Lorenzen hat in diesem Buch seine über 40 Jahre langen Erfahrungen auf diesem Gebiet realisiert, um sie einer interessieren Leserschaft zugänglich zu machen. Lesen Sie hier einen Beitrag von ihm.
Wer ein medizinisches Fachbuch schreibt, hat in der Regel das Bedürfnis, seine Erkenntnisse der Nachwelt zu hinterlassen. Dies gilt auch in der Literatur zur chinesischen Medizin (CM), deren Autoren im Verlauf ihrer über 2500 Jahre alten Geschichte immer wieder zu den Anfängen zurückgekehrt sind, d.h. zu ihren alten Klassikern Nei Jing, Nan Jing und Shang Han Lun. Es ist typisch für die chinesische Medizin, dass ihre Geschichte zyklisch verläuft. Die Entwicklung der CM im Westen vollzieht sich dagegen linear ohne Anbindung an die klassischen Texte.
Die Wege der chinesischen Medizin
Im Vordergrund ihrer gerade mal 70 Jahre langen Praxis steht heute die klinische Anwendung, die durch die Prägung einer neuen „Traditionellen Chinesischen Medizin“ (TCM) der westlichen Medizin gegenüber gestellt wurde. Damit erscheint die TCM als ein rationales Ideensystem, das als Grundlagen Leitkriterien und Syndrome hat, und mit diesen Rastern die Komplexität eines Krankheitsgeschehens erfassen und behandeln möchte. Dies geschieht im Westen in der Regel mit der Akupunktur, seltener mit chinesischen Arzneimitteln. In China ist es genau andersherum! Aber werden wir damit den Bedürfnissen unserer Patienten der Gegenwart gerecht? Ist dieser Ansatz wirklich die „ganzheitliche“ Lösung für den durch die Schulmedizin sezierten Patienten?
Das Herz (Xin 心)
Der wahre Mittelpunkt der altchinesischen Medizinlehre ist das Herz! Das Herz (Xin 心) in der chinesischen Medizin ist das Zentrum unseres geistig-seelischen Vermögens, dass im Shen神 seinen Ausdruck findet. Das Herz ist die Mutter aller Gefühle und der Ausgangspunkt für spirituelle Reifung und innere Transformation. In der Behandlung von Kranken geht es aus der Sicht der altchinesischen Medizin darum, dass wir das Herz in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Oder wie es im Ling Shu heißt: Jede Behandlung muss zuerst im Shen verwurzelt sein!
Nach über 40 Jahren meines Studiums und der Umsetzung der chinesischen Medizin in die Praxis haben sich mein Denken und Tun immer stärker auf die altchinesische Philosophie als ihre Grundlage fokussiert. Noch immer brenne ich für diese Medizin, und erlebe bei ihrer Ausübung eine Freude, wie sie mir selten eine andere Beschäftigung gegeben hat.
Nachdem ich verschiedene Medizinklassiker durchgesehen habe, bin ich auf einen Arzt gestoßen, der in der späten Ming-Dynastie außerordentlich rührig war, die chinesische Medizin aus den klassischen Texten zu sichten und neu zu ordnen. Sein „geordneter Klassiker“ ist eines der Highlights in der Medizinliteratur der Ming-Dynastie. In seinem Engagement setzte er sich auch mit den Theorien vorheriger Ärzte auseinander, deckte ihre Fehler auf und korrigierte sie.
Zhang Jiebin – Gelehrter und Meister
Warum hat es mich besonders zu Zhang Jiebin hingezogen? Nun, nachdem, was ich in seinen Büchern gelesen habe, war Zhang Jiebin ein konfuzianischer Gelehrter von hoher Bildung. Zhang Jiebins Eifer zu lernen, ließ selbst während einer schweren Krankheit nicht nach. Auch war er stets bemüht, das Tiefgründige in den klassischen Texten zu finden. Zhang Jiebin war ein Freigeist, der den gesellschaftlichen Normen oft kritisch gegenüberstand, und der auch offen für daoistische Ideen war, die immer wieder in seinen Texten erscheinen. Vor allem aber durchzieht eine Doktrin sein gesamtes Werk: Das Herz als Mittelpunkt therapeutischen Handelns!
Der Therapeut zwischen Himmel und Erde
Seitdem habe ich meine Position als Therapeut durch die Ausführungen von Zhang Jiebin immer wieder reflektiert und habe neue Einsichten in meine Theorie und Praxis zur chinesischen Medizin bekommen. Zhang beschreibt das Ideal eines „überragenden Arztes“ (Shen Yi 神醫) und drückt damit eine Qualität aus, die ein Therapeut als Ziel seiner Profession anstreben kann. Dieser Therapeut ist ein Vermittler zwischen Himmel und Erde, er erfüllt das alte Ideal des „Erwachten“, er ist ein Weiser, der seine geistigen Kräfte nicht nur dafür verwendet, den Patienten zu heilen, sondern auch bemüht ist, mit seiner Energie dem Schwingungsfeld des Kosmos zu entsprechen. Er verbindet seinen eigenen Shen mit dem Shen des Kranken und hilft diesem, seinen kleinen Kosmos ins Gleichgewicht zu bringen und seine Person wieder zwischen Himmel und Erde einzubinden. Dass ist der Platz, an dem nach Lao Zi der Mensch als dritte kosmische Größe hingehört! Es ist das Schwingungsfeld vom Dao 道 und seiner Wirkkraft (De 德), von dem hier die Rede ist. Und selbstverständlich ist dies nicht nur ein männlicher Weg!
Ich habe meine Übersetzung möglichst wörtlich gehalten, um das Flair seiner Ausführungen zu bewahren. Die übersetzten Textstellen beinhalten vorwiegend Zhang Jie Bin‘s philosophische Überlegungen, sein therapeutisches Handeln taucht erst in den folgenden Kapiteln auf und besteht weitgehend aus Arzneimittelrezepturen. Hinweise auf Akupunkturpunkte sind im Jing Yue Quan Shu kaum zu finden.
Mein Buch ist kein Buch für die Praxis! Es ist für diejenigen gedacht, die tiefer in die Denkweise der altchinesischen Medizin eindringen wollen, für die Freunde der Philosophie (philosophia, wörtlich „Liebe zur Weisheit“), die ein Bedürfnis nach Antworten haben, die in der modernen TCM-Literatur nicht mehr zu finden sind! So können sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene Nutzen aus diesem Buch ziehen!
Hier die Infos zum Buch:
Die Heilkunst des Zhang Jiebin
Das Herz als Mittelpunkt therapeutischen Handelns
ISBN: 9783956318481, 2021, 766 Seiten
Udo Lorenzen ist Heilpraktiker, Medizinhistoriker M.A., Dipl. Sozialpädagoge, Gastprofessor der Chengdu University of TCM.
Er begann 1983 mit der Ausbildung an der Academy of Chinese Acupuncture in Colombo/Sri Lanka.
Er ist seit 1988 Heilpraktiker mit eigener Praxis in Kiel und seit 1992 Leiter des Ausbildungszentrum Nord für Klassische Akupunktur und TCM.
Seit 1994 machte er viele Studienreisen nach China mit Fortbildungen an der University of TCM in Chengdu.
Schwerpunkt: Studium in Geschichte der Medizin, Pädagogik und Sinologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) mit Abschluss zum Medizinhistoriker M.A. (Magister Artium) 2006. Lorenzen 2011 Mitglied der World Federation of Chinese Medicine Societies (WFCMS = Weltverband der internationalen Gesellschaften für Chinesische Medizin) im Committee für Examination und Evaluation); 2016 Berufung zum Gastprofessor an der Chengdu University of Traditional Chinese Medicine.
Publikationen von Udo Lorenzen:
Terminologische Grundlagen der traditionellen chinesischen Medizin (1998); Mikrokosmische Landschaften – übergreifende Konzepte in der chinesischen Medizin, Band 1 (2. Auflage 2016) und Band 2 (2007); Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, 5 Bände (Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser) 1992-2012 (im Autorenteam mit Andreas Noll). Außerdem ist er Autor vieler Fachartikel über klassische Akupunktur und TCM in deutschen und ausländischen Fachzeitschriften; seit 1990 Referent zu vielen Themen der chinesischen Medizin im In- und Ausland.