Natürlich existiert der Begriff der Multiple Sklerose in der klassischen Literatur der Traditionellen Chinesischen Medizin, die seit Jahrhunderten existiert, nicht. Dennoch kann durch die verschiedenen Diagnosemethoden eines chinesischen Arztes (Betrachten, Befühlen, Riechen und Befragen) eine differenzierte Diagnose über den Zustand des Patienten gestellt werden. Diese Diagnose ermöglicht eine Therapie entsprechend den Regeln der TCM.
Eine Beschreibung der MS in den meisten klassischen Werken:
MS gehört zu den Wei-Syndromen der TCM. Dies bedeutet, dass die subtilen Kanäle, durch die Qi und Blut zirkulieren sollen, durch Feuchtigkeit und Schleim verlegt sind. Dies führt dazu, dass der Körper nicht mehr mit ausreichend Blut und Qi versorgt werden kann. Zu Beginn bestehen meist ein Milz-Qi- und -Yang-Mangel, der zu einer Feuchtigkeits-Stagnation führt. Symptome in dieser Phase sind: ein Schwere- und Taubheitsgefühl, Parästhesien (Kribbelgefühl) der Beine sowie ein Schwindelgefühl. Im Laufe der Zeit entwickelt sich meist ein Leber- und Nieren-Yin-Mangel mit folgenden Symptomen: verschwommenes Sehen, Drehschwindel, Schwäche der Beine, Blasenfunktionsstörungen.
Ein sich entwickelnder Nieren Yin-Mangel kann zu einem aufsteigenden Leber-Yang führen. Dabei treten folgende Symptome auf: Steifheit der Beine, verstärkter Schwindel, Brechreiz, Erbrechen sowie Krampfneigung. Bei einer chronischen MS-Symptomatik besteht ein Nieren-Yin-Mangel in Kombination mit innerem Wind sowie einer Blut-Stagnation. In dieser Phase leidet die Mehrzahl der Patienten unter Spasmen (Krämpfen). Sie sind nicht mehr gehfähig und haben massive neurologische Ausfallserscheinungen. Aus Sicht der Schulmedizin, die die Diagnose MS seit wenigen Jahrzehnten stellen kann, gibt es verschiedene Verlaufsformen dieser Erkrankung. Sie kann schubförmig auftreten, wobei die Erholung nach jedem einzelnen Schub vollständig oder leider nur teilweise sein kann, oder chronisch progredient verlaufen kann. Eine zuverlässige Diagnose über den Verlauf einer Erkrankung kann man nicht stellen.
Eine weitere Erklärung der MS-Problematik:
MS liegt eine Schwäche des Po zugrunde. Mit Po wird eine psychische Komponente der TCM bezeichnet. Was bedeutet dies nun? Po hat laut TCM-Literatur folgende Aufgeben: Po ist eine psychische Komponente, die der Wandlungsphase Metall zugeordnet wird. Po hat die Aufgabe, die Funktionen unseres Körpers aufrechtzuerhalten und uns vor Unfällen zu bewahren. Wenn wir auf die Welt kommen, werden durch Po die alltäglichen Funktionen und Reflexe des Körpers aufrecht gehalten. Ohne Po würden wir nie zu atmen anfangen, wir würden nie schreien, wir würden nie Nahrungsmittel aufnehmen usw. Po kontrolliert unsere lebensbewahrenden Reflexe. So ist z.B. das Po, das eine Hand von einer heißen Herdplatte zurückziehen lässt. Po schützt uns vor Unfällen mit dem Fahrrad etc. Wenn das Po schwach ausgeprägt ist, funktionieren die lebenserhaltenden Reflexe und Bewegungen weniger flüssig. Oft sind Menschen mit einer Po-Schwäche extrem liebevolle Menschen.
Sie sind hilfsbereit, großzügig, freundlich und geben förmlich ihr letztes Hemd. Doch diese Großzügigkeit kann Ausdruck einer verborgenen Hilflosigkeit sein. Es ist wie ein versteckter Selbstmord auf Raten. Nach dem Motto: es ist egal, was mit mir passiert, ich kümmere mich nur um Andere. Das andere Extrem sind Menschen mit einem stark ausgeprägten Po. Diese sind egozentrisch. Ihr eigenes Wohlergehen steht für sie im Vordergrund. Sie sind extrem absichernd und berechnend. Ein Blick in die Speisekammer kann Hinweise auf die Qualität der Po-Funktion des Besitzers geben. Die Speisekammer von Menschen mit einem stark ausgeprägten Po ist stets gut sortiert und vollgefüllt. Menschen mit einem schwach ausgeprägten Po haben oft leere Speisekammern.
Das Po ist bei sterbenden Menschen von Bedeutung:
Menschen mit stark ausgeprägtem Po fällt es nicht leicht zu sterben. Es fällt ihnen schwer, loszulassen. Anders ist dies bei Menschen mit einem schwach ausgeprägtem Po. Die alte chinesische Literatur beschreibt, dass diese Menschen gesund sterben. Sie sterben plötzlich (auch oft durch Unfälle). Natürlich kann nicht gesagt werden, dass alle Menschen, die eine MS entwickeln, eine Po-Schwäche haben. Doch es zahlt sich auf jeden Fall aus, diesen Aspekt regelmäßig zu hinterfragen.
Um die Funktion des Po zu stärken, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Entscheidend für Menschen mit einer Po-Schwäche ist es, eine Aufgabe bzw. eine Berufung zu haben. Ein Ziel im Leben zu haben ist für sie essentiell. Dieses Ziel kann für jeden Menschen anders definiert sein. Wichtig ist lediglich, dass ein Ziel vorhanden ist. Dieses Ziel ist für jeden Menschen anders definiert: die Kinder groß zu ziehen, einen Garten zu pflegen, einen Tempel zu errichten, ein Buch zu schreiben, einen Ort zu besichtigen, etc.
Weitere Möglichkeiten, um das Po zu stärken, sind:
- Regelmäßiger Körperkontakt mit Tieren
- Regelmäßiger Körperkontakt mit Menschen
- Aufenthalt in der Natur
- sportliche Betätigung
Der Akupunkturpunkt, der das Po beeinflusst ist der Punkt Lu 8 (Jingqu). Die Po-Funktion kann gestärkt werden, indem der Punkt Lu 8 tonisierend genadelt wird.
MS-Differentialdiagnosen:
- Milz-Qi- und -Yang-Mangel in Kombination mit einer Feuchtigkeits- und Schleim-Stagnation
- Leber- und Nieren-Yin-Mangel
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Multiple Sklerose auf Grund eines Milz-Qi- und -Yang-Mangels in Kombination mit einer Feuchtigkeits- und Schleim-Stagnation
Hauptsymptome:
Taubheitsgefühl, Parästhesien, Kältegefühl, Erschöpfungszustände, Müdigkeit und Schweregefühl des Körpers, Schwäche des Bindegewebes, Völlegefühl im Bereich des Bauches, Verbesserung der Symptome durch Wärme und Druck, Ödeme der Extremitäten, reichlich klarer Urin.
Zunge:
Zungenkörper: geschwollen und blass.
Zungenbelag: feuchter weißlicher Belag.
Puls: leer (xu) und gleitend (hua).
Therapie:
Chinesische Kräuter:
LI ZHONG WAN
Rhz. Zingiberis (Ganjiang) 6 g
Rdx. Ginseng (Renshen) 6 g
Rhz. Atractylodis Macrocephalae (Baizhu) 9 g
Rdx. Glycyrrhizae (Gancao) 6 g
Westliche Kräuter:
Frauenmantel (Herba Alchemillae) 5 g
Rosmarin (Folium Rosmarini) 3 g
Kümmel (Fructus Carvi) 3 g
Kardamom (Fructus Cardamomi) 3 g
Mandarinenschalen (Pericarpium Citri ret.) 8 g
Eisenkraut (Herba Verbenae) 5 g
Akupunkturpunkte:
Tonisieren (Bu Fa) oder Moxibustion: Ma 28 (Shuidao), Ren 9 (Shuifen), Bl 22 (Sanjiaoshu), Mi 9 (Yinlingquan), Du Mai 4 (Mingmen), Ni 7 (Fuliu).
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Multiple Sklerose auf Grund eines Leber- und Nieren-Yin-Mangels
Hauptsymptome:
verschwommenes Sehen, Schwäche der Beine, Rückenschmerzen, Schwindelgefühl, Vergesslichkeit, Störungen der Blasenfunktion, Hitzegefühl im Bereich der Fünf Herzen (Thorax, Handinnenflächen und Fußsohlen), Hitzeunverträglichkeit, subfebrile Temperatur, Nachtschweiß, trockene Mund -und Rachenschleimhäute, Verstopfung, Tinnitus (Ohrensausen), Schwerhörigkeit, psychische Unruhezustände und Rastlosigkeit, erotische Träume, Angstzustände, Durstgefühl, wenig dunkler Urin.
Zunge:
Zungenkörper: rot, dünn, eventuell rissig.
Zungenbelag: kaum vorhanden, eventuell fehlend.
Puls: dünn (xi) und schnell (shuo) und oberflächlich (fu).
Therapie:
Chinesische Kräuter:
LIU WEI DI HUANG WAN
Rdx. Rehmanniae (Shudihuang) 12 g
Fr. Corni officinals (Shanzhuyu) 6 g
Rdx. Dioscorae (Shanyao) 6 g
Poriae Cocos (Fuling) 6 g
Ctx. Moutan radicis (Mudanpi) 6 g
Rhz. Alismatis (Zexie) 6 g
Westliche Kräuter:
Ockergelber Hohlzahn (Herba Galeopsis) 8 g
Ackerschachtelhalm (Herba Equiseti) 8 g
Vogelknöterich (Herba Polygoni aviculare) 7 g
Isländisches Moos (Lichen Islandicus) 3 g
Lungenkraut (Herba Pulmunariae) 5 g
Mariendistelsamen (Fructus Cardui mariae) 7 g
Akupunkturpunkte:
Moxibustion kontraindiziert!
Tonisieren (Bu Fa): Bl 23 (Shenshu), Ni 3 (Taixi), Ni 7 (Fuliu), Ni 6, Ren 4 (Guanyuan).
Neutral: He 6 (Yinxi).
Sedieren (Xie Fa): He 7 (Shenmen), Gb 20 (Fengchi), Le 3 (Taichong).
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Literaturempfehlungen:
Ploberger, F. (2012) Diagnostik und Therapie, Fallbeispiele aus der Praxis der TCM, 2. Auflage, Schiedlberg: Bacopa. >> Hier gelangen Sie zum Buch
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Ploberger, F. (2017) Das große Buch der westlichen Kräuter aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin, 4., erweiterte Auflage, Schiedlberg: Bacopa. >> Hier gelangen Sie zum Buch
Dr. med. Florian Ploberger, B.Ac., MA, TCM-Arzt, Tibetologe, Fachbuchautor. Internationale universitäre und interdisziplinäre Lehrtätigkeit und zahlreiche Publikationen in den Themenbereichen Tibetische Medizin und TCM. Präsident der Österreichischen Ausbildungsgesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (ÖAGTCM).
Mehrere Bücher veröffentlicht. (Schwerpunkte: Westliche Kräuter aus Sicht der TCM sowie Tibetische Medizin). Von der Direktion des Men-Tsee-Khang (Institut für Tibetische Medizin und Astrologie in Dharamsala, Nordindien) mit der Übersetzung der ersten beiden und des letzten Teils des bedeutendsten Werkes der Tibetischen Medizin (rgyud bzhi) beauftragt. Weitere Informationen finden Sie unter www.florianploberger.com